Abrechnungspraxis bei Abwasserbeseitigungsgebühren

VERWALTUNGSRECHT Nr. 2
05.12.2013 | 

- OVG Niedersachsen, Urt. v. 24.09.2013 (Az: 9 LB 22/11, 23/11, 24/11, 25/11) -

Das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen hat in den vorgenannten Entscheidungen den Abrechnungsmaßstab von Abwassergebühren genauer "unter die Lupe genommen" und im Übrigen die bisherige Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte zu den formalen Anforderungen an Abwassergebührenbescheide bei privatisierten Unternehmen bestätigt.

 

SACHVERHALT (KURZFASSUNG)

Eine große niedersächsische Stadt privatisierte zum 01.01.2006 die Abwasserbeseitigung, indem sie die Entwässerungs-u. Investitionsaufgabe gegen Zahlung eines Betriebsentgelts für die Dauer von 30 Jahren auf eine 100% Tochtergesellschaft in Rechtsform einer GmbH übertrug und deren Anteile im Weiteren an ein privates Unternehmen verkaufte (sog. Betriebsführerin). Zugleich verlieh sie dem Abwasserverband ebenfalls für 30 Jahre gegen Zahlung eines Entgelts das ausschließliche Nutzungsrecht am gesamten Kanalnetz.

Vor der Privatisierung erfolgte die Gebührenerhebung durch einen seitens der Stadt hierzu ermächtigten Wasserverband. Nach erfolgter Privatisierung erhielten die Bürger nunmehr eine sog. "Jahresrechnung" der Betriebsführerin, in der Strom und Niederschlagswasser einheitlich abgerechnet wurden. Diese Jahresrechnung enthielt lediglich eine (einheitliche) Gegenüberstellung der insgesamt für (a) Strom und (b) Niederschlagswasser geleisteten Abschlagszahlungen und der jeweiligen, nach Medium getrennten Gesamtforderung. Im Übrigen wurde eine Unterscheidung zwischen den privatrechtlichen Forderungen für Strom und den im Auftrag der Stadt öffentlich-rechtlich festgesetzten Abwassergebühren indes nur durch die kleingedruckte Formulierung "Abgabenbescheid der Stadt" und die Hinweise zur "Rechnungsgrundlage für den Abwassergebührenbescheid" deutlich.

 

PROBLEMSTELLUNG

Die Erhebung von Gebühren durch Private ist in der Praxis nicht unproblematisch.

Die Rechtsprechung fordert insoweit zunehmend, dass die Entscheidungsverantwortung in jedem Einzelfall beim Hoheitsträger selbst verbleiben muss (vgl. OVG Thüringen, Beschl. v. 23.02.2012 - Az: 4 ZKO 711/11 - und Urt. v. 14.12.2009 - Az: 4 KO 482/09 -; OVG Münster, Beschl. v. 31.01.2013 - 9 E 1060/12 - und v. 15.04.2011 - 9 A 2260/09 -; OVG Schleswig Holstein, Urt. v. 15.03.2006 - Az: 2 LB 9/05 -). Bedient sich ein Hoheitsträger bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, z. B. der Abwasserbeseitigung, eines (privaten) Dritten, hat er die ordnungsgemäße Erfüllung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht abzusichern. Überlässt er dem Dritten dabei jegliche Entscheidungsverantwortung, fehlt es nach der Rechtsprechung an der Zurechenbarkeit.

 

ENTSCHEIDUNG


Nachdem das Verwaltungsgericht weder Bedenken am Abrechnungsmaßstab noch an der Form der Gebührenbescheide äußerte, hat das Berufungsgericht alle Urteile und Bescheide - rechtskräftig - aufgehoben. Hierfür hatte das Gericht gute Gründe:

 

1.

Zunächst erwies sich hier bereits die formale Erstellung und Versendung von Gebührenbescheiden durch die Betriebsführerin in Form von sog. "Jahresrechnungen" als rechtswidrig.

Das folgte schon aus dem einfachen Umstand, dass die (private) Betriebsführerin nicht berechtigt war, für die Stadt Abwassergebührenbescheide zu erlassen. Zwar führe es nicht zwingend zur Rechtswidrigkeit eines Abwassergebührenbescheides, dass ein Dritter diesen für die Gemeinde erlässt. In Niedersachsen sieht das Kommunalabgabengesetz (KAG) in § 12 Abs. 1 Satz 1 eine entsprechende Ermächtigung dergestalt vor, dass Gemeinden in ihren Abwassergebührensatzungen bestimmen können, dass Dritte mit der Ermittlung der Berechnungsgrundlagen, der Berechnung und Entgegennahme der Abgaben, sowie der Ausfertigung und Versendung der Abgabenbescheide beauftragt werden. Die maßgebliche Abwassergebührensatzung der Stadt habe hier jedoch lediglich einen Wasserverband und die Stadtwerke, nicht aber (auch) den Betriebsführer, entsprechend ermächtigt.

Zudem folgte die Rechtswidrigkeit hier daraus, dass die Bescheide dem landesrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht genügten. Bei einem nur mit "Jahresrechnung" bezeichneten Schreiben, in dem sowohl privatrechtliche Forderungen für Strom als auch öffentlich-rechtliche Gebühren für Abwasser geltend gemacht werden, bestehen zumindest Zweifel an der Einhaltung des Bestimmtheitsgebotes, wenn sich die Unterscheidung nur durch die kleingedruckte Formulierung "Abwassergebührenbescheid der Stadt" und den Hinweisen zur "Rechnungsgrundlage für den Gebührenbescheid" ergibt. Zwar sei es grundsätzlich zulässig, privatrechtliche und auch öffentlich-rechtliche Forderungen in einem einheitlichen Schreiben geltend zu machen. Dabei müsse aber von der äußeren Gestaltung als auch vom Inhalt des Schreibens her klar erkennbar werden, was der privatrechtliche und was der öffentlich-rechtliche Teil des Schreibens sein soll. Das heißt, beide Teile müssen - z.B. schon durch die Wortwahl - deutlich voneinander getrennt sein, so dass bezüglich der Abwassergebühr gesonderte Feststellungen getroffen werden und nach außen ersichtlich wird, dass ein Dritter für die Behörde einen Abgabenbescheid ausgefertigt und versendet.

Auch müsse der öffentlich-rechtliche Teil des Schreibens für sich genommen eigenständig alle Anforderungen erfüllen, die das öffentliche Recht im Hinblick auf die Abgabenerhebung an die Festsetzung und das Leistungsgebot stellt. Hiervon sei in der Regel nicht auszugehen, wenn nur die insgesamt für Strom und Niederschlagswasser erbrachten Abschlagszahlungen aufgelistet und den gesamten Forderungen gegenübergestellt werden. Der Anteil des für die Niederschlagswasserbeseitigung gezahlten Entgelts bleibe damit unklar, weshalb eine Vollstreckbarkeit bei Gebührenrückständen nicht besteht.

Daneben erachtete das OVG die Erhebung von Schmutzwassergebühren auch deshalb für rechtswidrig, weil diejenigen Zahler, deren Grundstücke an den Kanal angeschlossen sind, auch mit Kosten für die Abwasserbeseitigung aus abflusslosen Gruben belastet wurden.

Schließlich beurteilte das Gericht die Gebühren auch für überhöht, weil die Stadt hier nicht hinreichend berücksichtigt habe, dass auch Grundwasser in die städtische Kanalisation eingeleitet wird, und dieser Gesichtspunkt zur Senkung der Niederschlagswassergebühren hätte führen müssen.

Als unbegründet hat das OVG dagegen die im Zusammenhang mit der Privatisierung stehenden Einwände angesehen. Hierbei ging es um die betriebswirtschaftliche Berücksichtigung gewährter Haushaltsdarlehen im Gebührenhaushalt, die Angemessenheit des Betriebsführungsentgelts und die Abschreibung des Altanlagevermögens auf Grundlage von Wiederbeschaffungszeitwerten.

 

2.

Weiterer Gegenstand der Entscheidung waren die Gebührenbescheide vor Privatisierung.

Deren Rechtswidrigkeit folgte nach Ansicht des OVG Niedersachsen daraus, dass es an einer ordnungsgemäßen Kalkulation gefehlt habe. Hierzu sei ein Rechenwerk notwendig, das als Ergebnis den zu beschließenden Gebührensatz nachvollziehbar ausweist.

Außerdem sei es nicht zulässig, Kosten für die Beseitigung des Abwassers aus abflusslosen Gruben in die Kalkulation der Abwassergebühr für die Beseitigung über Kanale einfließen zu lassen. Vielmehr sei aufgrund der deutlich unterschiedlichen Arbeitsweise insoweit eine getrennte Kalkulation erforderlich.

Dagegen wurden die weiteren Einwände der fehlenden Differenzierung beim Gebührensatz zwischen Gebührenpflichtigen aus den eingemeindeten Ortsteilen einerseits und aus dem Stadtgebiet andererseits und die fehlende Berücksichtigung gezahlter Beiträge bei der Berechnung der kalkulatorischen Verzinsung zurückgewiesen.

 

FAZIT

Die Entscheidungen des OVG Niedersachsen bringen zwar nichts Neues, verdeutlichen aber ganz aktuell die Relevanz und Brisanz der unter dem Stichwort Abrechnungspraxis einzuordnenden Themenkomplexe "Maßstab und Gestaltung der Abrechnung".

Wie im Problemaufriss kurz dargestellt, ist die Rechtsprechung hier sehr restriktiv.

Zwar können sich Hoheitsträger grundsätzlich externer Hilfe bedienen und, z.B. in Form der Mandatierung oder Delegation, durch Beleihung, Verwaltungshilfe oder den Abschluss eines Betriebsführungsvertrages, Dritte mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betrauen, wenn sie im Einzelfall die formalen und inhaltlichen Voraussetzungen beachten. Dabei ist aber stets zu beachten, dass die letzte Entscheidungshoheit nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der gelebten Praxis stets bei demjenigen verbleibt, der für die Aufgabenerfüllung originär zuständig ist.

Sprechen Sie uns an, wenn Sie in diesem Zusammenhang Fragen haben. Wir sind Ihnen gerne dabei behilflich, eine rechtswirksame und praktikable Lösung zu entwickeln.

 

 

 

Redaktion:

Rechtsanwalt FAArbR und FAVerwR Glenn Dammann und Rechtsanwältin Annkathrin Griesbach

BEHTGE.REIMANN.STAR Rechtsanwälte, Berlin

Sekretariat: Uta Bendrich, Tel.: 030 / 89 04 92 - 15, Fax: 030 / 89 04 92 - 10

 

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