Die Auswirkungen der Grundsatzentscheidungen des BGH vom 28. Oktober 2015 zum Preisanpassungsrecht der Grundversorger

ENERGIERECHT Nr. 52
06.11.2015 | 

Bereits in unserer letzten Kurzinfo zum Energierecht Nr. 51 vom 28. Oktober 2015 hatten wir Sie auf die Grundsatzentscheidungen des BGH vom 28. Oktober 2015, Az. VIII ZR 158/11 und VIII ZR 13/12, aufmerksam gemacht. Der BGH befasst sich darin mit der Frage der Wirksamkeit von Preisanpassungen der deutschen Grundversorger in der Vergangenheit. Nunmehr wurden vom BGH auch die vollständigen Urteilsgründe veröffentlicht. Hieraus ergeben sich folgende Feststellungen:

Sind die bisherigen Preisanpassungen der Grundversorgungstarife wirksam?

Der BGH geht trotz der Feststellungen des EuGH vom 23. Oktober 2014, Az. RS C-359/11 und C-400/11, zur Europarechtswidrigkeit der gesetzlichen Preisanpassungsregelungen in der AVBGasV und der StromGVV/GasGVV a.F. von einer grundsätzlichen Berechtigung der Grundversorger aus, zumindest Preissteigerungen, die sich aus gestiegenen eigenen Bezugskosten ergeben, an ihre Tarifkunden weiterzugeben.

Ohne eine solche Berechtigung bestände nach Auffassung des BGH angesichts des kontinuierlichen Anstiegs der Energiepreise bei langfristigen Versorgungsverträgen regelmäßig ein gravierendes, dem Äquivalenzprinzip zuwiderlaufendes Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung, welches in letzter Konsequenz wegen unzumutbarer Härte für die betroffenen Grundversorger zu einem Wegfall der Grundversorgungspflicht wegen wirtschaftlicher Unzumutbarkeit gem. § 36 Abs. 1 Satz 2 EnWG führen würde. Daher sei die durch die Rechtsprechung des EuGH aufgetretene Regelungslücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen.

Die gerichtliche Überprüfung von streitigen Preisanpassungen der Vergangenheit auf ihre Berechtigung orientiere sich dabei am Maßstab des § 315 BGB, wobei der BGH hierbei ausdrücklich eine Gesamtjahresbetrachtung für zulässig erklärt hat, da es nicht auf die Billigkeit jeder einzelnen Preisanpassungen für sich genommen ankäme. Weiterhin billigt der BGH den Gerichten einen gewissen Schätzungs- und Ermessensspielraum zu, so dass nicht mehr in jedem Fall einer streitigen Preisanpassung ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müsse, wenn der Versorger anderweitig die Preisanpassungsgründe plausibel darlegen konnte.

Für Preisanpassungen in der Grundversorgung, die über die bloße Weitergabe von Bezugskostensteigerungen hinausgehen und er Erzielung eines (zusätzlichen) Gewinns dienen, bestand dagegen nach Auffassung des BGH auch im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung grundsätzlich keine Berechtigung. Auch solche Preisanpassungen werden jedoch zumindest dann wirksam, wenn der Kunde sie nicht innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung beanstandet hat.

Was gilt für zukünftige Preisanpassungen in der Grundversorgung?

Die Grundsatzentscheidungen des BGH beziehen sich nur auf Preisanpassungen der Vergangenheit, die noch auf Basis der AVBGasV/AVBEltV bzw. der GasGVV/StromGVV alter Fassung erfolgt sind. Gegenwärtige und künftige Preisanpassungen auf Basis der im Herbst 2014 novellierten GasGVV/StromGVV mit der damit verbundenen erweiterten Hinweis- und Begründungspflicht des Versorgers (vgl. dazu auch Kurzinfo zum Energierecht Nr. 40 vom 03. September 2014) unterliegen damit weiterhin ganz normal der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB.

Ob auch im Rahmen dieser Billigkeitskontrolle künftig auf eine Gesamtjahresbetrachtung aller Preisanpassungen abgestellt werden darf, ließ der BGH leider ausdrücklich offen, obwohl diese Frage bisher in der Rechtsprechung sehr streitig ist und von verschiedenen Oberlandesgerichten unterschiedlich beurteilt wird.

Was gilt für Preisanpassungen in Sonderverträgen?

Preisanpassungen in Energielieferverträgen außerhalb der gesetzlichen Grundversorgung waren nicht Streitgegenstand der aktuellen BGH-Grundsatzentscheidungen. In Lieferverhältnissen außerhalb der Grundversorgung bedarf es für Preisanpassungen weiterhin zunächst eines vertraglich wirksam mit dem Kunden vereinbarten Preisanpassungsrechts.

Gleichwohl hat der BGH in seinen aktuellen Urteilsgründen auch noch einmal auf seine nach eigener Aussage gefestigte Rechtsprechung der Vergangenheit zu (Norm-)Sonderverträgen hingewiesen, nach der auch hier (unberechtigte) Preisanpassungen vom Kunden nur innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren beanstandet werden können (BGH, Urt. v. 14. März 2012, Az. VIII ZR 113/11; BGH, Urt. v. 15. April 2015, Az. VIII ZR 59/14).

Wie ist die Entscheidung des BGH zu bewerten?

Für die Grundversorger ist die Entscheidung des BGH sehr positiv, da nunmehr klargestellt wurde, dass auch in der Vergangenheit und trotz europarechtlicher Probleme der gesetzlichen Preisanpassungsregelungen zumindest eigene Kostensteigerungen an die Tarifkunden weiter gegeben werden  durften. Die zunächst nach den Entscheidungen des EuGH aufgekommene Befürchtung, dass für vergangene Preisanpassungen massenhaft Rückzahlungen zu leisten sind, ist damit abgewendet.

Wir unterstützen Sie gerne bei Rechtsfragen im Zusammenhang mit streitigen Preisanpassungen. Als Ansprechpartner stehen Ihnen Herr Rechtsanwalt Dr. Christian Dümke und Herr Rechtsanwalt Kai Kallweit zur Verfügung.

 

 

Redaktion:

Rechtsanwalt Dr. Christian Dümke

BEHTGE.REIMANN.STAR Rechtsanwälte, Berlin

Sekretariat: Katja Schäbsdat, Tel.: 030 / 89 04 92 - 12, Fax: 030 / 89 04 92 - 10

 

Recht aktuell wird nach sorgfältig ausgewählten Unterlagen erstellt. Diese Veröffentlichung verfolgt ausschließlich den Zweck, bestimmte Themen anzusprechen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Für die Anwendung im konkreten Fall kann eine Haftung nicht übernommen werden. Sollten Sie weitere Fragen zu den angesprochenen Themen haben, so wenden Sie sich bitte an unsere Ansprechpartner. Der Nachdruck - auch auszugsweise - ist nur mit Quellenangabe gestattet.



# Tags: Recht Aktuell, Energierecht, Dr. Fatima Massumi-Kindermann, Dr. Christian Dümke, Dr. Birgit Ortlieb, Wibke Reimann