Aktuelle Rechtsprechung zur Arbeitsvertragsgestaltung

ARBEITSRECHT NR. 8
06.05.2011 | Glenn Dammann, Stephanie Musiol

I. Pauschale Abgeltung von Überstunden

- BAG, Urteil vom 01. September 2010 - 5 AZR 517/09 -

Nach dem Urteil des BAG ist eine Klausel mit dem Inhalt "erforderliche Überstunden sind mit dem Monatsgehalt abgegolten" wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) unwirksam, wenn sich der Umfang der danach ohne zusätzliche Vergütung zu leistenden Überstunden nicht hinreichend deutlich aus dem Arbeitsvertrag ergibt.

Die Entscheidung

Ein Arbeitnehmer klagte auf Zahlung unstreitig geleisteter Überstunden. Der Arbeitgeber trat der Klage entgegen und machte geltend, dass diese Überstunden aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit dem monatlichen Bruttogehalt bereits abgegolten seien. Die vertragliche Regelung hatte dabei folgenden Inhalt: "Mit der vorstehenden Vergütung sind erforderliche Überstunden des Arbeitnehmers mit abgegolten." 

Das BAG gab der Klage statt und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung. Zur Begründung führte es aus, dass die im Arbeitsvertrag geregelte Abgeltung von Überstunden mangels Transparenz unwirksam sei. Eine Klausel zur pauschalen Vergütung von Mehrarbeit sei nur dann klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistungen von ihr erfasst werden sollen. Anderenfalls ließe sich nicht erkennen, ab wann ein Anspruch auf zusätzliche Vergütung bestehe. Nach Auffassung des BAG muss der Umfang der Leistungspflicht dabei so konkret bestimmt sein, dass der Arbeitnehmer bereits bei Vertragsschluss erkennen kann, welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss. Dies sei bei der zugrunde liegenden Klausel nicht der Fall, da diese alle Arbeitsstunden erfassen sollte, die die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit überschreiten.

Fazit

Mit der Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass eine Abgeltungsklausel für Überstunden nur dann wirksam ist, wenn sich der Umfang der hiernach zu leistenden Mehrarbeit klar und verständlich aus dem Arbeitsvertrag ergibt. Arbeitgebern ist daher anzuraten, die Anzahl der mit dem Arbeitsentgelt bereits abgegoltenen - und daher ohne zusätzliche Vergütung zu leistenden - Überstunden im Vertrag konkret festzulegen. Fehlt eine solche Regelung, sind alle geleisteten Überstunden - sofern angeordnet - zusätzlich zu vergüten. Hierbei ist zudem zu beachten, dass eine Überstundenabgeltungsklausel nur dann zulässig ist, wenn von ihr nur die nach dem Arbeitszeitgesetz zulässigen Überstunden erfasst werden sollen. 

In welcher Höhe Überstunden pauschal mit dem üblichen Gehalt abgegolten werden können, hat das BAG bislang noch nicht geklärt. Eine Klausel, die Überstunden von bis zu 10 % der regelmäßigen Arbeitszeit erfasst, dürfte einer gerichtlichen Kontrolle aber standhalten. Eine Überstundenabgeltungsklausel, nach welcher Mehrarbeit bis zu 25 % mit dem Arbeitsentgelt abgegolten sein soll, dürfte hingegen zu weitgehend sein (so LAG Hamm Urt. v. 18.03.2009 - 2 Sa 1108/08 -).

II. Freiwilligkeitsvorbehalt bei Sonderzahlungen

- BAG, Urteil vom 08. Dezember 2010 - 10 AZR 671/09 -

Leistet ein Arbeitgeber mehrere Jahre lang Weihnachtsgeld an einen Arbeitnehmer, ohne bei der Zahlung deutlich eine Bindung für die Zukunft auszuschließen, kann der Arbeitnehmer aus diesem regelmäßigen Verhalten grundsätzlich schließen, der Arbeitgeber wolle sich dauerhaft verpflichten. Eine nur allgemein gehaltene Klausel im Arbeitsvertrag kann das Entstehen eines zukünftigen Rechtsanspruchs nicht hindern.

Die Entscheidung

Im vorliegenden Fall klagte ein Arbeitnehmer auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Bruttomonatsverdienstes. Diese hatte ihm sein Arbeitgeber über einen Zeitraum der letzten fünf Jahre gewährt, ohne bei der Zahlung einen ausdrücklichen Vorbehalt erklärt zu haben. Nunmehr verweigerte der Arbeitgeber unter Verweis auf die Wirtschaftskrise die Zahlung und berief sich dabei auf eine Klausel im Arbeitsvertrag, nach der die Gratifikation "freiwillig und ohne jede rechtliche Verpflichtung" gewährt und zudem "unter Wahrung einer besonderen Frist jederzeit widerrufbar" sein sollte.

Die Klage war erfolgreich. Nach Ansicht des BAG war ein Zahlungsanspruch auf Grundlage "betrieblicher Übung" gegeben. Ein im Arbeitsvertrag klar und verständlich formulierter Freiwilligkeitsvorbehalt könne einen künftigen Anspruch auf Sonderzahlungen nur ausschließen und die Entstehung der betrieblichen Übung verhindern, wenn er nicht mehrdeutig formuliert sei. Daran fehle es vorliegend. Die Klausel sei bereits unklar, weil sie auch so verstanden werden könne, dass der Arbeitgeber sich aus freien Stücken zur Erbringung der Gratifikation habe verpflichten wollen. Darüber hinaus sei sie widersprüchlich, da ein Widerruf zwingend voraussetze, dass zuvor überhaupt ein Anspruch entstanden sei.

Fazit

Mit der Entscheidung setzt das BAG seine einschränkende Rechtsprechung zur Wirksamkeit arbeitsvertraglich vereinbarter Freiwilligkeitsvorbehalte fort. Bereits in vorangegangenen Urteilen hatte das höchste deutsche Arbeitsgericht Klauseln, die sowohl die "Freiwilligkeit" der Zahlung als auch deren "Widerruflichkeit" vorsahen, wegen ihrer Widersprüchlichkeit für unwirksam erachtet. Neu an dem hier zugrunde liegenden Sachverhalt ist allerdings, dass der streitgegenständliche Freiwilligkeitsvorbehalt die Entstehung eines Anspruchs für die Zukunft ausdrücklich ausschloss. Diese Formulierung konnte indes nach Auffassung der Richter den Widerspruch gleichwohl nicht auflösen.

Es bleibt festzuhalten, dass es Arbeitgebern auch nach der Entscheidung des BAG weiterhin grundsätzlich möglich ist, Sonderzahlungen unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt zu stellen, um eine Bindung für die Zukunft auszuschließen. Hierzu bedarf es jedoch einer sorgfältigen und beanstandungsfreien vertraglichen Regelung. Da die Gerichte daran jedoch sehr hohe Voraussetzungen stellen, empfiehlt sich bei Unsicherheiten frühzeitig Rechtsrat einzuholen.

III. Widerruf der Dienstwagenüberlassung aus "wirtschaftlichen Gründen"

- BAG, Urteil vom 13. April 2010 - 9 AZR 113/09 -

Zur Vereinbarung eines arbeitsvertraglichen Widerrufsrechts bedarf es eines sog. sachlichen Grundes. Ein Widerrufsvorbehalt im Arbeitsvertrag, der den Widerruf der Überlassung eines Dienstwagens aus "markt- und/oder wirtschaftlichen Gründen" vorsieht, hält aufgrund seiner weitreichenden Fassung einer gerichtlichen Kontrolle nicht stand und ist unwirksam.

Die Entscheidung

Im zugrunde liegenden Fall hatte der Arbeitgeber den zur dienstlichen und privaten Nutzung überlassenen Dienstwagen vom Mitarbeiter zurückverlangt. Nach der insoweit maßgeblichen "Konzern-Car-Policy" sollten Mitarbeiter ein solches Fahrzeug erhalten, "soweit unter markt- und wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll". Die Wirtschaftlichkeit sollte jährlich geprüft werden. Bei deren Wegfall war ein Widerruf der Überlassung des Fahrzeuges vorgesehen. Die Arbeitnehmerin setzte sich gegen den Fahrzeugentzug zur Wehr und klagte auf Zahlung einer entsprechenden Nutzungsentschädigung für die Vorenthaltung des Dienstwagens. Zur Begründung führte sie aus, die Widerrufsklausel in der "Konzern-Car-Policy" sei unwirksam.

Das BAG gab der Klage statt. Nach Meinung der Erfurter Richter war der arbeitsvertragliche Widerrufsvorbehalt unwirksam, da die Klausel zu weitreichend sei. Für einen Widerruf bedarf es eines sachlichen Grundes. Dieser müsse in der Klausel so klar und deutlich formuliert sein, dass für den Arbeitnehmer absehbar ist, unter welchen (konkreten) Voraussetzungen er ggf. mit dem Widerruf der Überlassung rechnen müsse. Dem werde die Formulierung "unter markt- und wirtschaftlichen Gesichtspunkten" nicht gerecht, da schon die Kriterien für die Entscheidung der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht genügend transparent seien. Damit gehe die Klausel inhaltlich zu weit und sei für Arbeitnehmer nicht klar und verständlich. Insbesondere stelle nicht jeder wirtschaftliche Grund einen anzuerkennenden Sachgrund für den Entzug eines Dienstwagens dar.

Fazit

Mit jener Entscheidung hat das BAG klargestellt, dass die in der Praxis vielfach verwendete Formulierung "kann aus wirtschaftlichen Gründen widerrufen werden" der arbeitsrechtlichen Kontrolle nicht standhält und somit keinen wirksamen Widerrufsvorbehalt darstellt. Es hat in der Entscheidung zugleich angedeutet, dass ein Widerrufsvorbehalt, der die Widerrufsgründe hinreichend klar und deutlich umschreibt, weiterhin keinen Bedenken begegne. Arbeitgebern ist daher dringend zu empfehlen, bei der Vertragsgestaltung die konkreten Umstände, unter denen die Nutzungsüberlassung des Fahrzeugs widerrufen werden kann, genau festzulegen. Da die Dienstwagenüberlassung zu privaten Zwecken zudem "Entgelt" ist, was in der Praxis häufig übersehen wird, sind an taugliche Widerrufsgründe erhöhte Anforderungen zu stellen. Um vertragliche Widerrufsklauseln rechtssicher zu gestalten, sollte bei Unsicherheiten in der Vertragsgestaltung Rechtsrat eingeholt werden.

IV. Vertraglich vereinbarter Mehrurlaub und Verfallsklauseln

- BAG, Urteil vom 04. Mai 2010 - 90 AZR 183/09 -

Vertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den gesetzlichen Mindestjahresurlaub (§ 3 Abs. 1 BUrlG) übersteigen, frei regeln.

Die Entscheidung

Ein Arbeitnehmer, der bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses über einen Zeitraum von ca. 1 ½ Jahren durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war, klagte auf Abgeltung seiner Resturlaubstage. Laut Arbeitsvertrag hatte der Mitarbeiter jährlich 26 Urlaubstage, wobei insoweit nicht zwischen dem gesetzlichen (Mindest-)Urlaub (20 Arbeitstage; 5-Tage-Woche) und dem vertraglich gewährten Mehrurlaub über weitere sechs Arbeitstage unterschieden wurde. Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, dass zumindest der vertraglich gewährte Mehrurlaub verfallen und somit nicht abzugelten war.

Das BAG entschied indes zugunsten des Arbeitnehmers. Zwar könnten die Vertragsparteien Urlaubs- u. Urlaubsabgeltungsansprüche, die den gesetzlichen Urlaubsanspruch übersteigen, frei regeln und eigenen Verfallsfristen unterwerfen. Hierzu bedürfe es jedoch einer klaren arbeitsvertraglichen Regelung die zwischen gesetzlichem und vertraglichem Urlaubsanspruch unterscheidet und eigenständige Regeln für die Gewährung und die Abgeltung des vertraglichen Mehrurlaubsanspruchs aufstellt. Dem werde eine vertragliche Regelung nicht gerecht, die ohne Differenzierung einen "Gesamturlaubsanspruch" von 26 Tagen bestimme.

Fazit

Seit der sog. "Schultz-Hoff-Entscheidung" des EuGH vom 20. Januar 2009 (NZA 2009, 135), welcher das BAG inzwischen gefolgt ist (Urt. v. 24.03.2009, NZA 2009, 538), darf aufgrund Arbeitsunfähigkeit nicht genommener "gesetzlicher" Urlaub nicht mehr mit dem Ablauf des I. Quartals (31. März) des Folgejahres verfallen. 

Mit der Entscheidung hat das BAG klargestellt, dass vertraglich vereinbarter Mehrurlaub von den Vertragsparteien eigenen Verfalls- und Abgeltungsregeln unterstellt werden kann. Diese Entscheidung ist zu begrüßen, weil sie hilft, das Risiko von Arbeitgebern zu begrenzen, bei langer Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters später hohen Abgeltungsansprüchen ausgesetzt zu sein. Hierfür bedarf es jedoch einer genauen und beanstandungsfreien vertraglichen Regelung. Arbeitgebern ist daher dringend anzuraten, im Arbeitsvertrag für gesetzlichen und vertraglichen Urlaub erkennbar unterschiedliche Regeln zu vereinbaren, um somit das Ansammeln von Urlaubsansprüchen bei langer Arbeitsunfähigkeit einzuschränken.

Redaktion

Redaktion: Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht Glenn Dammann und Rechtsanwältin Stephanie Musiol, LL.M.

Herausgeber: Bethge.Reimann.Stari Rechtsanwälte, Berlin 

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