AKTUELLE RECHTSPRECHUNG DES BAG

Arbeitsrecht Nr.9
16.06.2011 | Glenn Dammann, Stephanie Musiol

I. Lockerung der sachgrundlosen Befristung

 .- BAG, Urteil vom 06. April 2011 - 7 AZR 716/06 -


Der Möglichkeit, ein Beschäftigungsverhältnis ohne konkreten Sachgrund bis zu zwei Jahre zu befristen, steht eine frühere Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht (mehr) entgegen, wenn diese mehr als drei Jahre zurückliegt.

Die Entscheidung


In dem konkreten Fall hatte der beklagte Freistaat mit der klagenden Arbeitnehmerin ein "sachgrundlos" befristetes Arbeitsverhältnis für die Dauer von zwei Jahren abgeschlossen. Diese hatte bereits zuvor während ihres Studiums - vor mehr als sechs Jahren - als sog. studentische Hilfskraft für den Arbeitgeber gearbeitet. Mit ihrer Klage wandte sie sich gegen die sachgrundlose Befristung ihres Arbeitsverhältnisses und hatte geltend gemacht, ihre frühere Beschäftigung beim Freistaat stünde einer solcher entgegen.

Diese Auffassung teilte das BAG nicht und wies - ebenso wie schon die Vorinstanzen - die Klage ab. Zunächst stellten die Erfurter Richter fest, dass nach § 14 Abs. 2 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) die Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zwar dann nicht zulässig sei, wenn mit "demselben Arbeitgeber" bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden habe. Im Wege verfassungskonformer Auslegung kamen sie nun jedoch - und entgegen ihrer früheren gegenteiligen Rechtsprechung - erstmals zu der Auffassung, dass eine solche "Zuvor-Beschäftigung" dann nicht (mehr) gegeben sei, wenn ein früheres Arbeitsverhältnis bereits mehr als drei Jahre zurückliege. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sei es, den Missbrauch befristeter Arbeitsverträge durch Befristungsketten zu verhindern. Das bisher geltende uneingeschränkte Verbot der Vorbeschäftigung sei jedoch ein Einstellungshindernis, das die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien und die Berufswahlfreiheit des Arbeitnehmers in unzulässiger Weise beschränke. Seine Anwendung sei daher nur noch insoweit gerechtfertigt, als dies zur Verhinderung von Befristungsketten erforderlich ist. Nach Ansicht des BAG besteht diese Gefahr jedoch regelmäßig dann nicht mehr, wenn zwischen dem Ende des früheren Arbeitsverhältnisses und dem sachgrundlos befristeten (neuen) Arbeitsvertrag mehr als drei Jahre liegen.

Fazit


Diese praxisfreundliche Entscheidung des BAG schafft neue Rechtssicherheit und ist aus
Arbeitgebersicht uneingeschränkt zu begrüßen.

Nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz war es bisher nicht gestattet, mit Arbeitnehmern einen zeitlich befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen, wenn mit diesen bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestand. Vor zwei Jahren hatte der auch jetzt erkennende 7. Senat festgestellt, dass es auf den zeitlichen Abstand zwischen dem früheren Arbeitsverhältnis und dem erneuten Arbeitsverhältnis nicht ankomme (BAG, Beschluss v. 29.07.2009, - Az.: 7 AZN 368/09 -). Danach standen aber selbst kurzzeitige - ggf. auch jahrzehntelang zurückliegende - Studenten-/Ferienjobs einer wirksamen sachgrundlosen Befristung entgegen. Dies stieß in der Praxis schon lange auf heftige Kritik, der sich das BAG - nach einem Wechsel in der Besetzung des 7. Senats - nun anschloss.

Für die Praxis bedeutet diese aktuelle Entscheidung zunächst, dass die Möglichkeit künftig sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisses abzuschließen, erheblich erweitert wird. Alle Anstellungen, die länger als drei Jahre zurückliegen, müssen nun bei neuen befristeten Arbeitsverträgen nicht mehr berücksichtigt werden. Dies führt zudem zu einer beachtlichen Entlastung der Personalabteilungen und minimiert das Risiko für Arbeitgeber, dass sich Arbeitnehmer aufgrund einer unerkannten - jahrelang zurückliegenden - Vorbeschäftigung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis einklagen können.

II. Altersdiskriminierung: Sozialplanabfindung und Altersstufen

 .- BAG, Urteil vom 12. April 2011 - 1 AZR 764/09 -


Altersstufen in einem Sozialplan sind mit europarechtlichen Vorgaben zum Verbot der sog. Altersdiskriminierung vereinbar, weil ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt typischerweise größere Schwierigkeiten haben, eine Anschlussbeschäftigung zu finden als jüngere. Die konkrete Ausgestaltung unterliegt jedoch einer Verhältnismäßigkeitsprüfung.

Die Entscheidung


In dem hier vom BAG zu entscheidenden Fall hatten Arbeitgeber und Betriebsrat einen Sozialplan geschlossen, nach dessen Inhalt sich die Höhe der Abfindung nach einem Faktor, aus Betriebszugehörigkeit und Bruttomonatsverdienst bestimmte. Der Faktor betrug bis zum 29. Lebensjahr des Mitarbeiters 80 %, bis zum 39. Lebensjahr 90 % und ab dem 40. Lebensjahr 100 %. Hiernach erhielt die zum Zeitpunkt der Kündigung 38-jährige Klägerin eine mit dem Faktor von 90 % errechnete Abfindung. Mit ihrer auf Altersdiskriminierung beruhenden Klage verlangt sie die Differenz zur ungekürzten Abfindung.

Die Klage blieb vor dem höchsten deutschen Arbeitsgericht - wie auch in den Vorinstanzen - ohne Erfolg. Nach Auffassung des 1. Senats waren die im Sozialplan gebildeten Altersstufen nicht zu beanstanden. Die Betriebsparteien durften davon ausgehen, dass die Arbeitsmarktchancen der über 40-jährigen Mitarbeiter typischerweise schlechter sind als die der 30- bis 39-jährigen. Die Abschläge für jüngere Arbeitnehmer seien auch nicht unangemessen.

Fazit


Mit seiner Entscheidung hat das BAG nun klargestellt, dass nicht alle Regelungen, die an unterschiedliche Lebensalter anknüpfen, bereits mit Blick auf europarechtliche Vorgaben unzulässig sind. Dies schafft Rechtssicherheit und ist aus Arbeitgebersicht zu begrüßen. In Sozialplänen dürfen daher auch weiterhin Altersgruppen gebildet werden, sofern hiermit ein legitimes - arbeitsmarktpolitisches - Ziel verfolgt wird und die konkrete Ausgestaltung der Altersstufen verhältnismäßig ist.

Bei Bildung der Altersstufen ist Arbeitgebern zu einer sorgfältigen und beanstandungsfreien Abwägung zu raten. Vorsicht geboten ist insbesondere bei Regelungen, die eine generelle (lineare) Steigerung der Abfindung mit zunehmendem Lebensalter vorsehen. Denn rentennahe Arbeitnehmer sind keineswegs stets schutzbedürftiger als ihre jüngeren Kollegen. Das BAG hat es diesbezüglich sogar für legitim erachtet, Arbeitnehmer, die Anspruch auf ein vorgezogenes Altersruhegeld haben, gänzlich von einer Sozialplanabfindung auszuschließen (Urt. v. 23.03.2010 - 1 AZR 832/08 -). Der EuGH hat demgegenüber entschieden, dass ein Ausschluss nur dann gerechtfertigt sei, wenn der rentenberechtigte Arbeitnehmer auch tatsächlich in den Ruhestand geht und daher eine Altersrente in Anspruch nimmt ( Urt. v. 12.10.2010 - C-499/08 -). Hieran wird deutlich, dass die rechtssichere Gestaltung von Sozialplanregelungen beachtliche Anforderungen an den Arbeitgeber stellt und zur Meidung wirtschaftlicher Belastungen bereits frühzeitig Rechtsrat eingeholt werden sollte.

III. Freistellung in der Kündigungsfrist und Urlaubsanrechnung

- BAG, Urteil vom 17. Mai 2011 - 9 AZR 189/10 -


Nach § 7 Abs. 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) legt der Arbeitgeber den Urlaub zeitlich fest. Die Erklärung eines Arbeitgebers, einen Mitarbeiter unter Anrechnung auf dessen Urlaubsansprüche nach einer Kündigung von der Arbeitsleistung freizustellen, ist aus Sicht des Arbeitnehmers auszulegen. Zweifel gehen zu Lasten des Arbeitgebers.

Die Entscheidung


Dem hier vom BAG zu entscheidenden Fall lag die Klage eines Arbeitnehmers auf Resturlaub zugrunde. Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger Mitte November 2006 zum 31. März 2007 gekündigt und diesen gleichzeitig mit sofortiger Wirkung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Anrechnung seiner Urlaubstage und Fortzahlung der Bezüge von der Arbeitsleistung freigestellt. Der im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess obsiegende Kläger machte sodann Resturlaub aus dem Jahr 2007 geltend. Er vertrat die Auffassung, die Beklagte habe ihm während der Kündigungsfrist nicht seinen vollen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen, sondern allenfalls 7,5 Tage Urlaub für das Jahr 2007 gewährt. Dies entspreche seinem Teilurlaub gem. § 5 Abs. 1 c) BUrlG im Zeitraum vom 01. Januar bis 31. März 2007 (1/12 pro Monat = 2,5 Tage pro Monat).

Anders als in den Vorinstanzen war die Klage vor dem 9. Senat erfolgreich. Die Erfurter Richter führten aus, dass die Freistellung zum Zweck der Gewährung von Erholungsurlaub durch einseitige Erklärung des Arbeitgebers erfolge. Diese Erklärung sei aus Sicht des Arbeitnehmers auszulegen und müsse hinreichend deutlich erkennen lassen, in welchem Umfang der Arbeitgeber die Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers erfüllen will. Zweifel gingen zu Lasten des Arbeitgebers, der es als Erklärender in der Hand habe, den Umfang der Freistellung eindeutig festzulegen. Das BAG kam zu dem Ergebnis, dass der Arbeitnehmer der Freistellungserklärung der Beklagten nicht mit hinreichender Sicherheit habe entnehmen können, ob die Beklagte den vollen Urlaubsanspruch für das Jahr 2007 oder lediglich den auf den Zeitraum des I. Quartals 2007 entfallenden Teilurlaubsanspruch erfüllen wollte.

Fazit


Mit der vorliegenden Entscheidung macht das BAG deutlich, dass bei über den Jahreswechsel hinaus laufenden Kündigungsfristen die einfache Freistellungserklärung "unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen" nicht ausreicht, um auch den vollen Urlaubsanspruch des neuen Kalenderjahres zu erledigen.

Für den Arbeitgeber besteht im Falle einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses häufig ein erhebliches Interesse daran, den Arbeitnehmer bereits während der Kündigungsfrist von der Arbeit freizustellen. Eine solche Freistellung bedarf zu ihrer Wirksamkeit regelmäßig einer arbeitsvertraglichen Regelung, deren beanstandungsfreie und rechtssichere Formulierung im Hinblick auf die rigide AGB-Rechtsprechung des BAG hohen Anforderungen unterliegt. Eine Freistellung sollte auch immer "unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen" erklärt werden, um spätere Urlaubsabgeltungsansprüche des Arbeitnehmers zu vermeiden. Hierzu muss die Freistellung zudem "unwiderruflich" erklärt werden, denn die Erfüllung des Urlaubsanspruch ist nur dann möglich, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr mit einer Heranziehung zur Arbeitsleistung rechnen muss.

Die aktuelle Entscheidung erhöht die Anforderungen des Arbeitgebers bei der Formulierung einer rechtssicheren Freistellungserklärung weiter. Arbeitgebern ist daher künftig bei der Formulierung von Freistellungsklauseln dringend zu erhöhter Achtsamkeit zu raten, um das Risiko einer zusätzlichen Urlaubsgewährung bzw. Abgeltung zu vermeiden.

Soll bei einer über den Jahreswechsel hinaus laufenden Kündigungsfrist nicht nur der Teil-, sondern der volle Jahresurlaubsanspruch in der Freistellung (mit) erledigt werden, muss die Freistellungserklärung dies deutlich erkennen lassen. Um vertragliche Freistellungsklauseln rechtssicher zu gestalten, empfiehlt es sich daher bei Unsicherheiten in der Vertragsgestaltung Rechtsrat einzuholen.

Redaktion

Redaktion: Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht Glenn Dammann und Rechtsanwältin Stephanie Musiol, LL.M.

Herausgeber: Bethge.Reimann.Stari Rechtsanwälte, Berlin 

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# Tags: Recht Aktuell, Arbeitsrecht, Glenn Dammann