KURZINFO ZUM ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT Nr. 1
01.12.2002 | Wibke Reimann

I) Verlängerung der Probezeit

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer Entscheidung vom 07. März 2002 (2 AZR 93/01) eine Verlängerung der Probezeit durch einen während der Probezeit abgeschlossenen Auflösungsvertrag als rechtmäßig angesehen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer hatten sich während der Probezeit darauf verständigt, das Arbeitsverhältnis zu einem Zeitpunkt einvernehmlich aufzuheben, der nach dem Ablauf der Probezeit lag und somit faktisch zu einer Verlängerung der Probezeit führte. Interessanterweise hat das BAG zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Auflösungsvertrages nicht die Grundsätze für den Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen angewandt. Darüber hinaus sah das BAG in dem Abschluss des Auflösungsvertrages auch keine Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes. Dies begründete das BAG damit, dass der Arbeitnehmer während der Probezeit entscheiden könne, ob er eine in Aussicht gestellte Probezeitkündigung mit der entsprechenden kurzen Probezeitkündigungsfrist in Kauf nehmen oder aber eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem späteren Zeitpunkt akzeptieren möchte. Auch die Tatsache, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine bedingte Wiedereinstellungszusage unter der Voraussetzung gemacht hatte, dass der Arbeitnehmer sich bis zur Beendigung des Arbeitsvertrages bewährt, hat das BAG nicht als schädlich angesehen.

Praktischer Hinweis:

Die "Verlängerung" einer Probezeit ist unter folgenden Voraussetzungen möglich:

  • Vorliegen eines unbefristeten Arbeitsvertrages mit Probezeit.
  • Angebot eines Aufhebungsvertrages vor Ablauf der Probezeit für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Probezeit.
  • Vor Abschluss des Auflösungsvertrages muss dem Arbeitnehmer eine ausreichende Bedenkzeit eingeräumt werden.

II) Verschärfung der Rechtsprechung zur Strafbarkeit des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen bei Liquiditätsproblemen des Unternehmens

Gemäß § 266 a StGB ist das Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen strafbar. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat am 28. Mai 2002 (5. StR 16/02) in einem Beschluss klargestellt, dass eine Strafbarkeit auch dann gegeben sein kann, wenn der Arbeitgeber zwar zum Fälligkeitszeitpunkt nicht leistungsfähig war, er es aber im Vorfeld - trotz Anzeichen von Liquiditätsproblemen - unterlassen habe, Sicherheitsvorkehrungen für die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zu treffen. Gleichzeitig müsse der Arbeitgeber billigend in Kauf genommen haben, dass er diese Sozialversicherungsbeiträge später aufgrund der zugespitzten Liquiditätsprobleme nicht werde erbringen können. Im Übrigen hat der BGH klargestellt, dass das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen nicht voraussetze, dass für den Arbeitnehmer tatsächlich Lohn gezahlt wurde. Zwar gibt der BGH auch zu bedenken, dass eine Strafbarkeit gemäß § 266 a Abs. 1 StGB voraussetze, dass dem Arbeitgeber die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar sei. Eine unmögliche Leistung dürfe dem Verpflichteten nicht abverlangt werden. Allerdings sei hinsichtlich der Frage der Möglichkeit der Zahlungspflicht nicht allein auf den Fälligkeitstag abzustellen, sondern das pflichtwidrige Verhalten könne auch vorgelagert sein. So sei der Arbeitgeber verpflichtet, notfalls durch besondere Maßnahmen (etwa die Aufstellung eines Liquiditätsplans und die Bildung von Rücklagen) die Zahlung zum Fälligkeitstag sicherzustellen, wenn er eine Verschärfung der Liquiditätslage absehen könne. Diese Pflicht gehe aber nicht so weit, dass der Arbeitgeber Vermögenswerte wegen der Drohung und Pfändung für titulierte Forderungen dem Zugriff von Gläubigern entziehen dürfe. Gleichzeitig müsse der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner sozialversicherungsrechtlichen Pflichten keine Kreditmittel beschaffen, falls deren Rückzahlung nicht gewährleistet werden könne. An dieser Stelle sei allerdings darauf hingewiesen, dass im Rahmen einer zivilrechtlichen Haftung des Geschäftsführers der 6. Zivilsenat des BGH (NJW 1997, 133) in dieser Frage die Auffassung vertreten hat, dass zumindest die Ausschöpfung eines noch offenen Kreditrahmens zumutbar sei.

Praktischer Hinweis:

 

  • Bei absehbarem Liquiditätsengpass rechtzeitig reagieren.
  • Sozialversicherungsbeiträge aus verbleibenden liquiden Mitteln stets abführen, selbst wenn kein Lohn gezahlt werden kann.
  • Bei einer Pflichtenkollision, z. B. wegen Lohnsteuerrückständen anteilig Zahlungen an Sozialversicherung und Finanzamt leisten.

III) Betriebsbedingte Kündigung setzt tatsächlichen Wegfall des Beschäftigungsbedarfes voraus

In der vom BAG am 12. April 2002 (2 AZR 256/01) ergangenen Entscheidung, bestätigt das BAG seine bisherige Rechtsprechung. Danach muss es bei Ausspruch der Kündigung mit ausreichender Sicherheit bereits feststehen, dass der Beschäftigungsbedarf endgültig wegfällt. Der Entscheidung des BAG lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Arbeitgeber hatte einer Arbeitnehmerin mit der Begründung gekündigt, dass ein Reinigungsauftrag zum 30. Juni 2000 auslaufe, sich der Arbeitgeber aber um eine Fortsetzung des Auftrags ab dem 01. Juli 2000 bemühe. Zum Zeitpunkt der Kündigung war allerdings das Ausschreibungsverfahren für die Neuvergabe des Auftrags noch nicht abgeschlossen. Das BAG hat der Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin stattgegeben. Es begründet seine Entscheidung damit, dass auch bei außerbetrieblichen Gründen, hier z. B. der Wegfall eines Reinigungsauftrages, zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs zu beurteilen ist, ob die Kündigung wegen der betrieblichen Lage des Unternehmens unvermeidbar ist. Davon sei nur dann auszugehen, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung aufgrund einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Betrachtung zu erwarten sei, dass zum Zeitpunkt des Kündigungstermins mit einiger Sicherheit der Eintritt des erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben ist. Auch bei langen Kündigungsfristen der Arbeitnehmer sieht das BAG keinen Grund, den Prognosenmaßstab insoweit abzumildern. Wenn sich erst später herausstelle, dass der Beschäftigungsbedarf wegfalle, z.B. weil der neue Auftrag nicht erlangt werden kann, dürfe erst zu diesem Zeitpunkt trotz der langen Kündigungsfrist gekündigt werden. Andernfalls spreche der Arbeitgeber eine sogenannte unzulässige Vorratskündigung aus. Eine Vorratskündigung sei auch dann unzulässig, wenn dem Arbeitnehmer für den Fall des Fortbestandes des Beschäftigungsbedarfs die Wiedereinstellung angeboten werde. Die rechtliche Durchsetzung eines Widereinstellungsanspruchs sei an weitere Voraussetzungen, wie z.B. das Einhalten von Fristen geknüpft. Darüber hinaus würden soziale Gesichtspunkte nicht in gleichem Umfang wie bei der Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes, sondern lediglich im Rahmen der allgemeinen Billigkeitserwägungen berücksichtigt. Zudem seien die tatsächlichen Umstände zur Begründung des Wiedereinstellungsanspruchs vom Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen, so dass das Verweisen des Arbeitnehmers auf den Wiedereinstellungsanspruch zu seiner rechtlichen Schlechterstellung führen würde.

Praktischer Hinweis:

 

  • Achten Sie darauf, dass zum Zeitpunkt der Kündigung der Wegfall des Arbeitsplatzes feststeht.

IV) Einzelvertraglich vereinbarte Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen

Das BAG hat mit Urteil vom 27. Februar 2002 (9 AZR 543/00) grundsätzlich Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen für die Geltendmachung von arbeitsvertraglichen Ansprüchen für zulässig angesehen. Das BAG hat aber darauf hingewiesen, dass der zu beurteilende Arbeitsvertrag noch nicht anhand der AGB-Regelungen zu prüfen war, da es sich um einen Arbeitsvertrag handelte, der vor dem 01. Januar 2002 abgeschlossen wurde.

Praktischer Hinweis:

 

  • Diese rechtliche Beurteilung kann sich jedoch zum 01. Januar 2003 ändern, wenn gemäß Artikel 229, § 5 EGBGB die AGB-rechtlichen Vorschriften erstmalig auf Altverträge Anwendung finden werden.
  • Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 24. März 1998) unterlagen einzelvertraglich vereinbarte Ausschlussfristen der gerichtlichen Billigkeitskontrolle. Danach erfassten Ausschlussfristen gesetzliche Rechte (z. B. nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz oder Urlaubsgesetz) nur dann, wenn von den gesetzlichen Rechten durch arbeitsvertragliche Regelungen zu Lasten des Arbeitnehmers abgewichen werden darf.

V) Begrenzte Nachprüfbarkeit unternehmerischer Entscheidungen zur Umstrukturierung

Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 21. Februar 2002 (2 AZR 556/00) erneut klargestellt, dass ein Arbeitgeber eine unternehmerische Organisationsentscheidung dahingehend treffen könne, eine Abteilung stillzulegen, bestimmte Arbeiten in ein anderes Unternehmen zur selbständigen Erledigung zu vergeben und/oder an einem bestimmten Standort zu konzentrieren, ohne dass das Gericht diese Entscheidung vollinhaltlich überprüfen oder eine unternehmerische Organisationsstruktur vorschreiben könne. Die Gerichte seien vielmehr auf eine Willkürkontrolle beschränkt. Im zugrundeliegenden Fall hatte der Arbeitgeber entschieden, bestimmte Aufgaben nicht mehr durch festangestellte Mitarbeiter, sondern durch freie Mitarbeiter bzw. Drittfirmen ausführen zu lassen. Aus diesem Grund versetzte der Arbeitgeber eine Arbeitnehmerin an einen anderen Arbeitsort, indem er eine Änderungskündigung aussprach. Die Arbeitnehmerin wendete sich gegen die Änderungskündigung mit dem Argument, der Arbeitgeber hätte ihr als milderes Mittel eine Beschäftigung als freie Mitarbeiterin am bisherigen Arbeitsort anbieten müssen. Dies hat das BAG mit folgender Begründung abgelehnt: Fallen durch eine unternehmerische Entscheidung Arbeitsplätze in einem Unternehmen weg und setze der Arbeitgeber nur noch freie Mitarbeiter ein, so spreche grundsätzlich - solange der Arbeitnehmer keine anderen Tatsachen vorträgt - eine Vermutung dafür, dass der Arbeitgeber eine vernünftige unternehmerische Entscheidung getroffen haben. Dafür, dass die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich war, ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig. Der Arbeitgeber müsse dagegen lediglich darlegen und beweisen, dass die Änderungskündigung bzw. die Beendigungskündigung geeignet ist, die unternehmerische Organisationsentscheidung umzusetzen.

Darüber hinaus sei die Änderungskündigung auch nicht deshalb rechtswidrig, weil der Arbeitgeber dem im Rahmen einer Änderungskündigung versetzten Arbeitnehmer keine Anstellung als Freier Mitarbeiter angeboten habe. Bei einer Änderungskündigung gehe es um die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu anderen Bedingungen. Die Beschäftigung als Freier Mitarbeiter würde aber zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen und könne deshalb nicht als milderes Mittel angesehen werden.

Praktischer Hinweis:

Die Entscheidung des BAG hat praktische Auswirkungen insbesondere für die Fälle, in denen ein Unternehmen einen Betriebsteil stilllegen und die Leistungen von Drittfirmen oder freien Mitarbeitern einkaufen will (klassisches Outsourcing).

Redaktion

Redaktion: Rechtsanwältin Wibke Reimann

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# Tags: Wibke Reimann, Arbeitsrecht, Recht Aktuell