Unbundling - Herausforderung für Energieversorger

ENERGIERECHT Nr.2
17.08.2004 | Wibke Reimann, Birgit Ortlieb, Hansjörg Pardemann

I. Die verschiedenen Entflechtungsinstrumente

Der Gesetzentwurf enthält in den §§ 6-10 verschiedene Instrumente für vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen zur Sicherstellung der Unabhängigkeit ihrer Netzbetreiber von anderen Tätigkeitsbereichen der Energieversorgung (vgl. hierzu den Auszug aus dem EnWG im Anhang):     

  • So ist in § 7 EnWG-E die so genannte "rechtliche Entflechtung" geregelt. Sie geht mit ihren Rechtsfolgen am weitesten, da die Normadressaten dieser Regelung sicherstellen müssen, dass ihr Netzbetrieb hinsichtlich seiner Rechtsform von anderen Teilen des Unternehmens unabhängig ist.     
  • Hiermit eng verbunden ist die in § 8 EnWG-E festgelegte so genannten "operationelle Entflechtung". Hierbei geht es darum, die Unabhängigkeit der verbundenen Netzbetreiber "hinsichtlich der Organisation, der Entscheidungsgewalt und der Ausübung des Netzgeschäfts" von anderen Teilen des Unternehmens sicherzustellen.      
  • Die so genannte "informationelle Entflechtung" gemäß § 9 EnWG-E bestimmt den vertraulichen Umgang mit wirtschaftlich sensiblen Informationen.     
  • Bei der so genannten "buchhalterischen Entflechtung" gemäß § 10 EnWG-E geht es um detaillierte Vorgaben für die Rechnungslegung und Kontenführung bei Energieversorgungsunternehmen. 

Wichtig ist der Hinweis, dass diese Vorgaben grundsätzlich kumulativ zu erfüllen sind. So weist die Bundesregierung in ihrer Begründung ausdrücklich darauf hin, dass beispielsweise die Ausgliederung einer rechtlich selbständigen Einheit für den Netzbetrieb grundsätzlich nicht reicht, sondern auch eine den operationellen Entflechtungsvorgaben entsprechende Ausstattung und Gestaltung dieser Netzbetriebsgesellschaft vorzusehen ist. Allerdings ist zu beachten, dass kleinere Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen von einer rechtlichen und operationellen Entflechtung ausgenommen sind.

1. Welche Energieversorgungsunternehmen sind von welchen Entflechtungsvorschriften betroffen? 

a. Was ist ein vertikal integriertes Energieversorgungsunternehmen?

Eine Schlüsselfunktion in dem EnWG-E nimmt der Begriff des "vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens" ein. Dieses ist der Hauptadressat aller Entflechtungsregelungen. Eine gesetzliche Definition hierfür findet sich in § 3 Ziffer 38 EnWG-E. Danach ist ein vertikal integriertes Energieversorgungsunternehmen.     

"ein im Elektrizitäts- oder Gasbereich tätiges Unternehmen oder eine im Elektrizitäts- oder Gasbereich tätige Gruppe von Unternehmen, die im Sinne des Artikels 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. EU Nr. L 24 S. 1) miteinander verbunden sind, wobei das betreffende Unternehmen oder die betreffende Gruppe im Elektrizitätsbereich mindestens eine der Funktionen Übertragung oder Verteilung und mindestens eine der Funktionen Erzeugung oder Vertrieb von Elektrizität oder im Erdgasbereich mindestens eine der Funktionen Fernleitung, Verteilung, Betrieb einer LNG-Anlage oder Speicherung und gleichzeitig eine der Funktionen Gewinnung oder Vertrieb von Erdgas wahrnimmt."     

Hierbei sind also zwei unterschiedliche Erscheinungsformen denkbar:    

aa.

Es kann sich um ein einzelnes, voll integriertes Unternehmen des Elektrizitäts- oder Gasbereichs handeln, das gleichzeitig sowohl in der Erzeugung oder in dem Vertrieb von Elektrizität bzw. Erdgas tätig ist, als auch im Bereich des Netzbetriebs.     

bb.

Eine Gruppe von Unternehmen kann die vorgenannten Kriterien erfüllen. Gemäß der Generaldirektion Energie & Transport der EU-Kommission kommen hierbei zwei unterschiedliche, zulässige Unternehmensgruppen in Frage:     

  • Die Tätigkeit des Netzbetreibers kann in eine rechtlich selbständige Gesellschaft ausgegliedert sein, die von der verbliebenen Vertriebs-/Erzeugungsgesellschaft kontrolliert wird.     
  • Die rechtlich selbständige Netzbetriebsgesellschaft kann von derselben Holding kontrolliert werden, die auch die Vertriebs-/Erzeugungsgesellschaft kontrolliert.      

Die Frage, wann genau eine Unternehmensgruppe als so verfestigt anzusehen ist, dass sie wie ein vertikal integriertes Energieversorgungsunternehmen zu bewerten ist, beantwortet der Gesetzentwurf durch den in § 3 Ziffer 38 enthaltenen Verweis auf die EG-Fusionskontrollverordnung vom 20. Januar 2004 (siehe oben). In deren Artikel 3 Abs. 2 ist festgelegt, dass ein Unternehmen die Kontrolle über ein anderes Unternehmen begründet     

"(....) durch Rechte, Verträge oder andere Mittel (...), die einzeln oder zusammen unter Berücksichtigung aller tatsächlichen oder rechtlichen Umstände die Möglichkeit gewähren, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben (...)."     

Als besonders geeignete Mittel hierfür werden Eigentums- oder Nutzungsrechte an der Gesamtheit oder an Teilen des Vermögens des Unternehmens sowie Rechte oder Verträge genannt, die einen bestimmenden Einfluss auf die Zusammensetzung, die Beratungen oder Beschlüsse der Organe des Unternehmens gewähren.     

Sind also diese Merkmale der Kontrolle innerhalb einer Unternehmensgruppe erfüllt, wird diese Gruppe insgesamt als ein vertikal integriertes Energieversorgungsunternehmens angesehen, was die geschilderten Entflechtungspflichten auslöst.     

Die Fusionskontrollverordnung enthält allerdings keine scharf formulierten Abgrenzungskriterien wie beispielsweise konkrete Beteiligungsverhältnisse, bei deren Erreichen ein Kontrollerwerb stets anzunehmen wäre. Hier finden sich nur einige Grundvarianten. Dies hat zur Folge, dass in jedem Einzelfall eine genaue Prüfung erforderlich ist.      

Als Faustformel lässt sich jedoch sagen, dass der Erwerb bzw. das Halten einer Mehrheitsbeteiligung regelmäßig zu dem Erwerb bzw. dem Aufrechterhalten der Kontrolle über das Unternehmen führt, an dem diese Beteiligung besteht. Eine bloße Minderheitsbeteiligung dagegen begründet in der Regel keine Kontrolle, es sei denn, es liegen ergänzende vertragliche Vereinbarungen oder sonstige Besonderheiten vor. Diese sind dann verstärkt zu beachten, wenn sie dem Erwerber einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik des erworbenen Unternehmens verschaffen, z. B. durch einen ständigen Sitz in den Unternehmensorganen oder ein Vetorecht bei allen wesentlichen Entscheidungen in dem Unternehmen. Unter diesen Voraussetzungen kann sogar eine Beteiligung von beispielsweise nur 19 % zum Kontrollerwerb führen. Ein solcher kann selbst dann entstehen, wenn die beteiligten Unternehmen eine dahingehende Absicht nicht erklärt haben.     

Festzuhalten ist daher, dass es bei der Frage nach der Begründung von Kontrolle über ein anderes Unternehmen (und damit nach dem Vorliegen eines vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens) weniger auf die äußere Form der jeweiligen Verbindung, dafür mehr auf das Ergebnis und damit auf die Erlangung von Kontrolle ankommt.

b. Empfehlung

Gerade vor diesem geschilderten Hintergrund ist es in der nächsten Zeit sehr wichtig, die Entwicklung der Entscheidungspraxis der Kartellbehörden und der Gerichte zur Fusionskontrolle zu verfolgen, um abschätzen zu können, ob sich neue Leitlinien im Hinblick auf den Kontrollbegriff und damit für die Frage einer durchzuführenden Entflechtung herausbilden. Anzuraten ist allerdings bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt, bei eventuell bevorstehenden Beteiligungsvorhaben die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass hierdurch die Verpflichtung zur Entflechtung des eigenen Unternehmens begründet werden könnte, die ohne eine derartige Beteiligung möglicherweise nicht bestanden hätte.

2. Rechtliche Entflechtung  a. Anforderungen an die betroffenen Unternehmen

Die rechtliche Entflechtung verlangt von den hiervon betroffenen vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen, dass ein bislang in ein Unternehmen integrierter Netzbetrieb in ein rechtlich selbständiges Unternehmen überführt wird. Hierbei ist es den Energieversorgungsunternehmen freigestellt, welche gesellschaftsrechtliche Form sie der auszugliedernden Netzgesellschaft geben wollen, solange auch die Anforderungen der operationellen Entflechtung erfüllt werden. Nicht verlangt wird allerdings eine Entflechtung des Eigentums. Ein Verkauf des Geschäftsbereichs Netzbetrieb oder eine Übertragung des Eigentums an Vermögenswerten des Netzes ist nicht vorgesehen.     

Hinzuweisen ist hier auch auf § 6 Abs. 2 und 3 EnWG-E, welcher steuerliche Begünstigungen für Unternehmen enthält, welche rechtliche und operationell entflechten müssen. Dadurch soll bewirkt werden, dass die Entflechtungsvorgänge möglichst steuerneutral durchgeführt werden können. So wird das Vorliegen eines Teilbetriebes im Sinne des Umwandlungs- und Einkommenssteuergesetzes fingiert und Erwerbsvorgänge, die aus den Entflechtungstatbeständen resultieren, sind von der Grunderwerbssteuer befreit.

b. Bis wann ist die rechtliche Entflechtung umzusetzen?

Für größere Unternehmen mit mehr als 100.000 Kunden enthält § 7 Abs. 3 EnWG-E eine Sonderregelung. Danach gelten die Verpflichtungen zur rechtlichen Entflechtung für Verteilernetzbetreiber erst ab dem 01. Juli 2007.     

Doch Vorsicht:

Die Verpflichtungen zur operationellen Entflechtung gem. § 8 EnWG-E bleiben davon unberührt und müssen jedenfalls rechtzeitig umgesetzt werden! Insbesondere die Unabhängigkeit der Leitung des Netzbetriebs muss also vor dem genannten Datum gewährleistet sein.

 3. Organisatorische oder operationelle Entflechtung

Bei den Energiesorgungsunternehmen, an deren Netz mehr als 100.000 Kunden unmittelbar oder mittelbar angeschlossen sind, stellt die EnWG-Novelle in § 8 EnWG-E zusätzlich zu der Forderung einer rechtlichen Entflechtung weitere Anforderungen auf, die erfüllt werden müssen. Es handelt sich dabei um die operationelle Entflechtung.

a. Ziel der operationellen Entflechtung

Ziel der operationellen Entflechtung ist es, die Personen, die wesentliche Aufgaben des Netzbetriebs wahrnehmen oder dafür verantwortlich sind, vor einer Einflussnahme durch die Wettbewerbsbereiche Vertrieb, Erzeugung und Gewinnung sowie etwaigen daraus entstehenden Interessenkollisionen zu schützen und damit die diskriminierungsfreie Handlungsweise des Netzbetriebs gegenüber Dritten zu sichern.    

b. Anforderungen an die Unternehmen

Operationelle Entflechtung bedeutet im Einzelnen:        

  • Unabhängigkeit des verantwortlichen Leiters Netzbetrieb von den anderen Wettbewerbsbereichen des Unternehmens (Vertrieb, Erzeugung, Gewinnung), indem sichergestellt ist, dass er diesen betrieblichen Bereichen weder direkt oder indirekt angehört.     
  • Unabhängigkeit der Personen, die mit wesentlichen Tätigkeiten des Netzbetriebs, z. B. Beantwortung von Netznutzungsanfragen, Abschluss von Netznutzungs- oder Händlerrahmenverträgen, betraut sind. Diese dürfen nicht gleichzeitig betrieblichen Einrichtungen des Vertriebs und bei Übertragungsnetzbetreibern auch nicht Einrichtungen der Erzeugung angehören. Unschädlich wäre es allerdings, wenn der entsprechende Leiter oder Mitarbeiter z. B. für den Bereich Wasser/Abwasser oder Fernwärme mit zuständig wäre.     
  • Ausschließliche fachliche Weisungsgebundenheit von Personen an Weisungen des Leiters Netzbetrieb, die sonstige Tätigkeiten des Netzbetriebs (z. B. Zählerablesung) ausüben und nicht beim Netzbetreiber angesiedelt sind.

c. Weisungsfreiheit

Diese Vorgaben erfordern es, dass organisatorisch und auch arbeitsrechtlich neue Weisungsstrukturen im Unternehmen geschaffen werden. Insbesondere muss klar herausgearbeitet werden, welchen Weisungen der Leiter des Netzbetriebs z. B. als Geschäftsführer einer Netzgesellschaft gegenüber seinen bzw. seinem Gesellschafter unterliegen darf. Gleichzeitig müssen auch die Weisungsstrukturen zu den einzelnen Mitarbeiter des Netzbetriebs neu geordnet werden. Diese neuen organisatorischen Vorgaben können genutzt werden, um gleichzeitig sicherzustellen, dass auch die Anforderungen an das informationelle Unbundling eingehalten werden.     

Der Bundesregierung war durchaus bewusst, dass eine operationelle Entflechtung, insbesondere die Forderung, dem Leiter Netzbetrieb weitgehende Entscheidungsbefugnisse und Weisungsfreiheit einzuräumen, in einem Spannungsverhältnis zur unternehmerischen und wirtschaftlichen Verantwortung des Konzerns im übrigen stehen wird. Aus diesem Grund ist in Umsetzung der EG-Richtlinien in § 8 Abs. 4 EnWG-E geregelt, dass die Gesellschafter des Netzbetreibers allgemeine Kontrollmechanismen für den Leiter Netzbetrieb aufstellen dürfen, wie z. B. die Festlegung allgemeiner Verschuldensobergrenzen, die Abstimmung von jährlichen Finanzplänen oder ähnlicher Instrumente. Es muss allerdings sichergestellt sein, dass der laufende Netzbetrieb trotz dieser Instrumente weisungsfrei bleibt.     

Verkürzt lässt sich diese gesetzliche Vorgabe so zusammenfassen: Der Leiter Netzbetrieb muss in allen Einzelfallentscheidungen (Netznutzungsanfragen, Netzausbau etc.) weisungsfrei handeln können. Die Gesellschafter sind nur berechtigt, den allgemeinen Rahmen für diese Entscheidungen vorzugeben.

d. Gleichbehandlungsprogramm und Gleichbehandlungsbeauftragter

Zusätzlich zur Absicherung der Weisungsfreiheit muss das vertikal integrierte Unternehmen auch ein sog. Gleichbehandlungsprogramm aufstellen und im Unternehmen bekannt machen, welches die Mitarbeiter des Netzbetriebs zur diskriminierungsfreien Ausübung des Netzbetriebs verpflichtet. Die Einhaltung dieses Programms muss von einer Person oder Stelle überwacht und Sanktionen bei Verstößen festgelegt werden.  Auch diese Vorgaben sind von arbeitsrechtlicher Bedeutung. Die Anordnung bestimmter Handlungsweisen ist durch den Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts zulässig, welches er auch durch öffentlichen Aushang ausüben kann. Als Sanktionen kann der Arbeitgeber allerdings nur die arbeitsrechtlich zulässigen Sanktionen wie Ermahnung, Abmahnung und Kündigung in Aussicht stellen, wie sie bei sonstigen Pflichtverletzungen möglich sind. Der Gesetzesentwurf lässt offen, ob dieser "Gleichbehandlungsbeauftragte" ähnlich einem Datenschutzbeauftragten zu behandeln sein wird.

4. Ausnahmeregelung für kleinere Unternehmen (de minimis-Regelung)

Gem. § 7 Abs. 2 und § 8 Abs. 6 EnWG-E sind solche vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Verteilernetzbetreiber von den rechtlichen und operationellen Entflechtungsverpflichtungen ausgenommen, sofern an ihr jeweiliges Versorgungsnetz weniger als 100.000 Kunden unmittelbar oder mittelbar bei der jeweiligen Sparte (Strom oder Gas) angeschlossen sind. Bei den mittelbar angeschlossenen Kunden denkt die Bundesregierung beispielsweise an die Mieter eines Hochhauses, die einzelne Stromlieferverhältnisse mit ihrem Vermieter haben, der seinerseits alleiniger Stromkunde eines Versorgungsunternehmens und an das Netz unmittelbar angeschlossen ist. Folglich sind die Mietparteien eines solchen Wohnkomplexes als "mittelbare Anschlussnehmer" im Sinne dieser Bestimmung bei der Ermittlung der 100.000 Kunden mitzuzählen. Hierdurch soll möglichen Umgehungsversuchen seitens der Versorgungsunternehmen vorgebeugt werden. Die Generaldirektion Energie & Transport der EU-Kommission fügt klarstellend an, dass ein Haushalt unabhängig von der Zahl seiner Mitglieder aber nur als ein Kunde gezählt werde.    

Zu beachten ist, dass ein Energieversorgungsunternehmen, an dessen eigenes Netz weniger als 100.000 Kunden angeschlossen sind, durch einen Beteiligungspartner, der seinerseits über zusätzliche Anschlussnehmer verfügt, über die Grenze von 100.000 Kunden gelangen kann, vorausgesetzt, die Verbindung beider Unternehmen erfüllt die oben beschriebenen Kriterien der Kontrolle.   

5. Empfehlung für kleinere Unternehmen

Für Unternehmen, die weniger als 100.000 angeschlossene Kunden (de minimis-Regelung) haben, bietet es sich dennoch an, ihre Unternehmensstruktur angelehnt an die Vorgaben der operationellen Entflechtung zu verändern. Zwar müssen nicht die strengen Vorgaben - wie gesellschaftsrechtliche Trennung der Anstellungsverhältnisse - nachempfunden werden. Es ist jedoch sinnvoll, wenn sich Energieversorgungsunternehmen, wie z. B. Stadtwerke, ebenfalls für eine klare Strukturierung von wesentlichen und sonstigen netzbezogenen Dienstleistungen sowie sonstigen Tätigkeiten entscheiden. Denn mit einer solchen Strukturvorgabe lassen sich auch die Anforderungen des Gesetzesentwurfs an die Verwendung von Informationen sowie auch die Grundlagen für eine interne Rechnungslegung und Buchführung nachvollziehbar und ordnungsgemäß umsetzen.

6. Informationelle Entflechtung

Mit § 9 EnWG-E schreibt der Gesetzgeber die sog. informationelle Entflechtung sowohl für kleine als auch für große integrierte Energieversorgungsunternehmen vor. Insbesondere Informationen über Netzkunden hinsichtlich ihrer Verbrauchsstrukturen oder Daten, die die Verfügbarkeit von Leitungskapazitäten ablesbar machen, sollen nicht dazu benutzt werden dürfen, beispielsweise dem eigenen Vertriebsbereich einen Vorteil aufgrund dieser Informationen zu verschaffen. Was bedeutet das konkret? Der Gesetzgeber hat kein Verbot formuliert in Bezug auf bestimmte Daten, die er für wirtschaftlich sensibel im genannten Sinne erachtet. Und er überlässt es auch jedem Netzbetreiber zu entscheiden, welche Daten er weitergibt. Wenn sich aber der Netzbetreiber entscheidet, Daten in Bezug auf Netzkunden etc. weiter zu geben, dann verpflichtet ihn der Gesetzgeber, dies diskriminierungsfrei, d. h. für alle möglichen Interessenten gleichermaßen zugänglich zu gestalten. Davon unberührt bleiben im übrigen gesetzliche Verpflichtungen, Informationen weiter zu geben, damit eine systemnotwendige Kooperation gelingen kann. Hier kann man das gesetzgeberische Spannungsfeld: Vertraulichkeit einerseits, Informationen zur notwendigen Zusammenarbeit verschiedenen Unternehmen andererseits, erkennen. Weiterhin haben die Unternehmen darauf zu achten, dass bei der Weitergabe von Daten in jedem Fall die datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu beachten ist.     

Das informationelle Unbundling ist vor allen Dingen für Energieversorgungsunternehmen, die nicht dem rechtlichen und auch nicht dem operationellen Unbundling unterliegen (de minimis-Regelung), wichtig, weil sie aufgrund dieser Vorschrift Datenflüsse innerhalb des Unternehmens daraufhin untersuchen müssen, ob der Zugriff auf Daten für Nichtberechtigte ausgeschlossen ist. Gegebenenfalls müssen Datenflüsse umgestellt oder erheblich verändert werden.     

Außerdem entsteht durch diese Vorschrift die Notwendigkeit der Dokumentation bestimmter Geschäftsabläufe im Netzbereich, damit innerhalb von Prüfungen durch die Regulierungsbehörde, die entsprechenden Geschäftsabläufe und die geforderte Gewährleistung der Vertraulichkeit nachgewiesen werden kann.     

Der Gesetzgeber sagt nichts darüber, wie die Vertraulichkeit im einzelnen zu gewährleisten ist. Damit überlässt er es jedem Unternehmen im Rahmen der tatsächlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten innerhalb des Unternehmens selbst, notwendigen Änderungen beispielsweise im EDV-Bereich einzuführen, Mitarbeiter entsprechen zu instruieren und im Rahmen des arbeitsrechtlich Zulässigen zu überwachen.

7. Buchhalterische Entflechtung 

a. Allgemeine Vorgaben für alle Energieversorgungsunternehmen

Alle Energieversorgungsunternehmen haben ungeachtet ihrer Eigentumsverhältnis und ihrer Rechtsform - soweit nicht ohnehin erforderlich - einen Jahresabschluss nach den für Kapitalgesellschaften geltenden Vorschriften aufzustellen, prüfen zu lassen und offen zu legen.

b. Zusätzliche besondere Vorgaben für vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen

Nach § 10 Abs. 3 EnwG-E haben vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen im getrennte Konten für jede der nachfolgend genannten Tätigkeiten zu führen:    

1. Elektrizitätsübertragung 

2. Elektrizitätsverteilung 

3. Gasfernleitung 

4. Gasverteilung 

5. Gasspeicherung 

6. Betrieb von LNG-Anlagen 

7. andere Tätigkeiten innerhalb des Elektrizitäts- und Gassektors 

8. Tätigkeiten außerhalb des Elektrizitäts- und Gassektors      

Zu den Tätigkeiten nach1., 2., 3. oder 4. gehört auch die Verpachtung der Netzbetriebsanlagen an eine Netzbetriebsgesellschaft. Diese gilt als Tätigkeit des Netzbetriebs im Sinne einer wirtschaftlichen Nutzung eines Eigentumsrechts an Elektrizitäts- oder Gasversorgungsnetzen.     

Konten für Tätigkeiten nach 7. und 8. können in den jeweiligen Sektoren jeweils zusammengefasst werden.     

Für jeden der oben genannten Tätigkeitsbereiche des Netzbetriebs (1.-6.) ist eine interne Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung aufzustellen.      

Andere Tätigkeiten innerhalb des Elektrizitätssektors sind z. B. auch der Vertrieb oder die Erzeugung. Tätigkeiten außerhalb des Elektrizitäts- und Gassektors sind z. B. die Fernwärme-, Wasserversorgung sowie Abwasserentsorgung.     

Wichtig ist, dass bei Dienstleistungen, die sektor- oder tätigkeitsübergreifend entweder intern oder durch externe Dienstleister erbracht werden (z. B. Abrechnung, Rechtsberatung, Buchhaltung) oder aus anderen Gründen eine direkte Zuordnung von Kosten nicht möglich ist (Fuhrpark, Gebäudeeigentum), eine sachgerechte Schlüsselung der Kosten (Konten) vorzunehmen ist. Diese muss auch für Dritte nachvollziehbar sein. Die gewählten Schlüssel sind dann auch - so jedenfalls im bisherigen Entwurf einer Netzentgeltverordnung Strom - der Berechung der Netznutzungsentgelte zugrunde zu legen. Die Schlüsselung der Konten sollte wegen des Grundsatzes der Stetigkeit mit äußerster Sorgfalt vorgenommen werden. Denn spätere Änderungen der Schlüsselung sind zwar möglich, werden aber mit Begründungsaufwand verbunden sein.     

Sinn der Rechnungslegungsvorschriften ist es, Quersubventionierungen einzelner Sektoren und Tätigkeitsbereiche zu verhindern.     

Alle Energieversorgungsunternehmen, die einen oder mehrere der Tätigkeitsbereiche 1.-6. ausüben, haben deshalb ihren Jahresabschluss nebst Einzelbilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen nebst Bestätigungsvermerk eines Wirtschaftsprüfers der Regulierungsbehörde zu übermitteln. Zu diesen Energieversorgungsunternehmen gehören auch diejenigen Unternehmen, die ihr Netz verpachtet haben, da die Netzpacht, wie oben gezeigt, zu einer der in Absatz 3 genannten Tätigkeiten gezählt wird und regelmäßig eine als Tochtergesellschaft neu gegründete Netzbetriebsgesellschaft der Muttergesellschaft nach Fusionskontrollverordnung zugerechnet werden wird. Lediglich reine Energielieferanten ohne vertikale Verflechtungen mit Netzbetreibern oder reine Erzeuger sind von der Vorlagepflicht ausgenommen.    

Soweit der Jahresabschluss Daten aus Bereichen enthält, die nicht für den Netzbetrieb relevant sind, müssen diese zwar an die Regulierungsbehörde mit dem Jahresabschluss herausgegeben werden, sind aber wie Geschäftsgeheimnisses zu behandeln und dürfen somit nicht veröffentlicht werden.

c. Umsetzungsfrist für die buchhalterische Entflechtung

Die besonderen Vorschriften für vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen sind mit Beginn des ersten vollständigen Geschäftsjahres nach In-Kraft-Treten des Gesetzes anzuwenden. Sollte das Gesetz zum 01. Januar 2005 in Kraft treten, müsste schon für das Jahr 2005 ein Jahresabschluss nach den Entflechtungsvorschriften aufgestellt werden, wenn das Geschäftsjahr ebenfalls am 01.01. beginnt. Die allgemeinen Vorgaben der buchhalterischen Entflechtung gelten dagegen bereits mit In-Kraft-Treten des Gesetzes, stellen aber zu den bisherigen Vorschriften des EnWG - jedenfalls für Energieversorgungsunternehmen der allgemeinen Versorgung - keine wesentliche Änderung der Rechtslage dar.  

III. Abschließende Empfehlung

Wir empfehlen, möglichst bald die internen Strukturen organisatorisch, arbeitsrechtlich, bezogen auf die Behandlung von Kunden- bzw. Netzdaten (EDV-Zugriffsberechtigungen, Datenflüsse) sowie im Hinblick auf übergreifende Dienstleistungseinheiten so zu strukturieren, dass die Minimalanforderungen des Gesetzesentwurf an eine diskriminierungsfreie Handlungsweise des eigenen Netzbetriebs gewährleistet und auch nach außen für Dritte dokumentiert werden kann. Gleichzeitig heißt es jetzt schon, die Kontenschlüsselung für die Berechnung von Netznutzungsentgelten nachvollziehbar vorzubereiten. Damit ist gewährleistet, dass sowohl die operationelle, informatorische und buchhalterische Entflechtung - soweit erforderlich - zeitnah umgesetzt werden können.     

Tritt der Vertrieb eines Energieversorgungsunternehmens intern wie ein fremder Dritter auf, hat dies auch Auswirkungen auf die vertragliche Abwicklung. Denn es muss sichergestellt sein, dass er von Kunden ordnungsgemäß für den Abschluss von Netznutzungsverträgen für den Kunden bevollmächtigt ist, wenn er seinen Kunden weiterhin Lieferverträge inklusive Netznutzung anbieten möchte. Bestehende Vertragsmuster sollten deshalb geprüft und ggf. angepasst werden.     

Wenn Sie Fragen zu einzelnen Entflechtungsmaßnahmen oder notwendigen Vorbereitungshandlungen haben, stehen Ihnen die Unterzeichner gerne für Rückfragen zur Verfügung. Sprechen Sie uns bitte an, wenn Sie an einer internen Schulung Ihrer Mitarbeiter zu diesen Themen Interesse haben. Wir machen Ihnen gerne ein Angebot.      

gez. 

Wibke Reimann 

Rechtsanwältin     

 

gez.  

Birgit Ortlieb 

Rechtsanwältin    

 

gez. 

Hansjörg Pardemann 

Rechtsanwalt     

Anlage als PDF Dokument (siehe Inhaltsverzeichnis):  Auszug aus dem Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts

Redaktion

Redaktion: Rechtsanwältin Wibke Reimann, Rechtsanwältin Birgit Ortlieb und Rechtsanwalt Hansjörg Pardemann

Herausgeber: Bethge.Reimann.Stari Rechtsanwälte, Berlin 

Sekretariat: Susanne Rothe, Tel: 030 - 890492-11, Fax: 030 - 890492-10

Recht aktuell wird nach sorgfältig ausgewählten Unterlagen erstellt. Diese Veröffentlichung verfolgt ausschließlich den Zweck, bestimmte Themen anzusprechen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Für die Anwendung im konkreten Fall kann eine Haftung nicht übernommen werden. Sollten Sie weitere Fragen zu den angesprochenen Themen haben, so wenden Sie sich bitte an unsere Ansprechpartner. Der Nachdruck - auch auszugsweise - ist nur mit Quellenangabe gestattet.

Wenn Sie die Publikation nicht mehr erhalten wollen, teilen Sie uns dies bitte per E-Mail mit.



Downloads:
gesetzestext_enwg.pdf86 K
# Tags: Recht Aktuell, Energierecht, Wibke Reimann, Dr. Birgit Ortlieb