Die Europäische Aktiengesellschaft - Societas Europaea (SE)

GESELLSCHAFTSRECHT Nr.3
31.10.2005 | Dr. Christian Stari

I. Die Europäische Aktiengesellschaft - Societas Europaea (SE)

Seit rund einem Jahr gibt es nun die Europäische Aktiengesellschaft - Zeit für eine erste Annäherung an diese neue Gesellschaftsform.

1. Überblick

Mit der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 08. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (ABlEG Nr. L 294 vom 10. November 2001, S. 1 ff.) sowie der Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 08. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (ABlEG Nr. L 294 vom 10. November 2001, S. 22 ff.) wurden auf europäischer Ebene die rechtlichen Grundlagen für die Europäische Aktiengesellschaft (SE) geschaffen. Die Verordnung über das Statut der SE bedurfte als unmittelbar anwendbares Recht keiner Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber und ist am 08. Oktober 2004 in Kraft getreten. Die Richtlinie zur Ergänzung dieses Statutes war bis zum 08. Oktober 2004 durch die nationalen Gesetzgeber in innerstaatliches Recht umzusetzen. Die Bundesrepublik Deutschland ist dieser Verpflichtung mit leichter Verzögerung durch das am 29. Dezember 2004 in Kraft getretene Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) (Bundesgesetzblatt 2004 I S. 3675 ff.) nachgekommen. 

Ziel der Einführung einer solchen europäischen Gesellschaftsform ist es, europaweit tätigen Unternehmen die Möglichkeit zu geben, mit nur einer einzigen Gesellschaft anstelle einer komplizierten Konzernstruktur bestehend aus einem Netz von Holding- und Tochtergesellschaften zu operieren. Vor diesem Hintergrund sollen mit der neuen Gesellschaftsform grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse, Konzernierungsvorgänge und Unternehmenskooperationen erleichtert werden. 

Die SE ist eine (Handels-)Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, für deren Verbindlichkeiten nur das Gesellschaftsvermögen haftet und die über ein in Aktien zerlegtes Grundkapital verfügt. Die SE muss mit einem Mindestkapital von 120.000 EUR ausgestattet werden. 

Neben den durch die europäischen Normen gesetzten rechtlichen Rahmenbedingungen ist subsidiär das jeweilige nationale Aktienrecht des Mitgliedstaats anwendbar, in dem die SE ihren Sitz hat. Das bedeutet, dass es nicht die SE schlechthin gibt, vielmehr gibt es viele verschiedene Formen der SE mit jeweils unterschiedlicher nationaler Prägung. 

Grundorgan der SE ist die Hauptversammlung der Aktionäre. Bezüglich der Struktur der Verwaltung der SE (Leitung, Kontrolle und Überwachung) besteht ein Wahlrecht zwischen dem in Deutschland bekannten dualistischem System (bestehend aus Aufsichtsrat und Vorstand) und dem aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis bekannten monistischen System (im Board System zusammengefasstes Leitungs- und Kontrollorgan).      

2. Gründung

Die unmittelbare Neugründung einer SE durch jedermann ist nicht möglich. Eine Gründung kommt nur auf zwei Wegen in Betracht: 

(1) Gründung durch eine bereits bestehende SE als Tochtergesellschaft oder 

(2) gemeinsame Gründung einer Tochter-SE durch mindestens zwei Gründungsgesellschaften als Gemeinschaftsunternehmen, sofern entweder mindestens zwei von ihnen dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen oder mindestens zwei Gründungsgesellschaften seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaates unterliegende Tochtergesellschaft oder Niederlassung haben. 

Diese Art der unmittelbaren Neugründung steht grundsätzlich allen Gesellschaftsformen, das heißt auch Personengesellschaften, offen. 

Neben der unmittelbaren Neugründung gibt es drei weitere Wege der Gründung einer SE durch so genannten "Strukturmaßnahmen": 

(1) Gründung durch Verschmelzung 

Dieser Weg steht nur Aktiengesellschaften des jeweiligen nationalen Rechts offen. Mindestens zwei der beteiligten Gesellschaften müssen dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen. Die Verschmelzung kann in der Weise erfolgen, dass eine oder mehrere beteiligte Gesellschaften auf eine aufnehmende Gesellschaft verschmolzen werden (Verschmelzung zur Aufnahme) oder das zwei oder mehrere Gesellschaften sich zu einer neuen Gesellschaft verschmelzen (Verschmelzung zur Neugründung). 

(2) Formwechselnde Umwandlung 

Auch die Möglichkeit der formwechselnden Umwandlung steht nur Aktiengesellschaften des jeweiligen nationalen Rechts zur Verfügung. Voraussetzung ist, dass die Aktiengesellschaft, welche sich in eine SE umwandeln will, seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft hat. 

(3) Gründung einer Holding-SE 

Diese Strukturmaßnahme kennt das deutsche Recht bislang nicht. Sie steht Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung des jeweiligen nationalen Rechts offen. Mindestens zwei Gründer müssen ihren Sitz in verschiedenen Mitgliedsstaaten haben. Die die Gründung betreibenden Gesellschafter müssen jeweils mindestens 50 % ihrer Anteile in die neu zu gründende SE einbringen, die damit Muttergesellschaft der Gründungsgesellschafter wird.

3. Ausblick

Ein Unternehmen, welches sich mit dem Gedanken trägt, eine SE zu bilden, wird strukturelle und auch materiell-rechtliche Einzelfragen zu bedenken haben, die sich insbesondere auch daraus ergeben, dass, wie eingangs dargestellt, neben dem europäischen Recht das jeweilige nationale Recht der Aktiengesellschaften anwendbar ist. Von besonderer Bedeutung sind hierbei Fragen der Arbeitnehmerbeteiligung. Diese sind im einzelnen in Deutschland mit dem Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) geregelt.  

Es bleibt abzuwarten, welche Bedeutung die SE auf europäischer Ebene erlangt. Der Allianz-Konzern ist die erste und bislang einzige Unternehmensgruppe, die öffentlich erklärt hat, sich in eine SE umwandeln zu wollen.

II. Urteil des BGH zur Geschäftsführerhaftung innerhalb einer Privat Limited Company

Aufgrund der aktuellen Entwicklung der europäischen Rechtsprechung gewinnen Gesellschaftsformen anderer Mitgliedstaaten mehr und mehr an Bedeutung. Sie werden zur echten Alternative insbesondere zu den deutschen Kapitalgesellschaften.     

1. Die EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit

Die Centros-Entscheidung des EuGH (Urt. v. 09. März 1999, Rs.C - 212/97, NJW 1999, S. 2027) markierte einen Wendepunkt im europäischen Gesellschaftsrecht. Erstmals hat der EuGH ausdrücklich festgestellt, dass für die Gründung einer Gesellschaft ausschließlich die Rechtsvorschriften des Staates maßgeblich sind, in denen die Gesellschaft formal ihren Sitz hat und nicht das Recht des Staates, in dem die Gesellschaft gegebenenfalls ausschließlich ihre Geschäfte betreibt. Ausdrücklich hat der EuGH damit auch so genannte "Scheinauslandsgesellschaften" zugelassen, das heißt solche Gesellschaften, die nur aufgrund der - gegebenenfalls - günstigeren Rechtsform im europäischen Ausland gegründet wurden, sodann jedoch ausschließlich in einem anderen Staat wirtschaftlich tätig sind. 

Mit der Überseering-Entscheidung (Urt. v. 05. November 2002, Rs.C-208/00, DB 2002, S. 2425 ff.) hat der EuGH diesen Grundsatz auch für den Fall bestätigt, dass ein einmal im Inland tätiges Unternehmen sein unternehmerisches Entscheidungszentrum später in einen anderen Mitgliedsstaat verlegt. Auch in seinem nunmehr neuen Wirkungskreis bleibt die Gesellschaft in der Rechtsform des Mitgliedsstaates, in welcher sie gegründet wurde, rechts- und parteifähig auch in anderen Mitgliedstaaten. 

Mit dem Inspire-Art-Urteil (Urt. v. 30. September 2003, Rs.C-167/01, GmbH-Rundschau 2003, S. 1260 ff.) hat der EuGH diese Rechtsprechung fortgeführt und ausdrücklich betont, dass der jeweiligen Gesellschaft keinerlei rechtlichen Erschwernisse auferlegt werden dürfen, sofern dies nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses geboten ist. Hiermit wurde gewissermaßen ein Verbot der Diskriminierung von Auslandsgesellschaften festgeschrieben. 

Im Ergebnis bedeutet dies, dass die vor dieser Rechtsprechung insbesondere in Deutschland vorherrschende Sitztheorie, wonach für die Rechtsform einer Gesellschaft maßgeblich der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft war, aufgegeben wurde zugunsten der Gründungstheorie. 

Ein Unternehmer hat somit nunmehr die freie Wahl, in welchem Mitgliedsstaat er welche Gesellschaft gründen will. Mit dieser Gesellschaft kann er dann beliebig auch - und auch ausschließlich - in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten tätig werden.

2. BGH-Urteil vom 14. März 2005

Vielfach noch ungeklärt sind jedoch Fragen danach, welches Recht auf eine solche Auslandsgesellschaft anwendbar ist, soweit es sich nicht unmittelbar um Gesellschaftsrecht handelt. Erhebliche Auswirkungen auf ein Unternehmen und die damit verbundenen Risiken kann beispielsweise das Deliktsrecht, das Insolvenzrecht und auch das Steuerrecht mit sich bringen. 

Mit seinem Urteil vom 14. März 2005 (Az.: II ZR 5/03, NJW 2005, S. 1648 ff.) hat sich der BGH erstmals seit diesen drei genannten EuGH-Urteilen zur Rechtsstellung von EU-Auslandsgesellschaften im Deutschen Recht geäußert. Der BGH hebt hervor, dass die Haftung des Geschäftsführers für rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten der in England gegründeten Privat Limited Company mit tatsächlichem Verwaltungssitz in der Bundesrepublik Deutschland sich ausschließlich nach dem am Ort ihrer Gründung geltenden Recht richtet. Der Niederlassungsfreiheit steht es danach entgegen, den Geschäftsführer mangels Eintragung im Handelsregister persönlich nach den im Deutschen Recht geltenden Grundsätzen der Handelndenhaftung auch haften zu lassen. Konsequent wendet der BGH somit gesellschaftsrechtliche Normen nur des Gründungsstaates an. 

Sodann verweist der BGH darauf, dass unabhängig hiervon gegebenenfalls jedoch eine deliktsrechtliche Haftung nach den Vorschriften der §§ 823 ff. BGB z. B. wegen eines so genannten "existenzvernichtenden Eingriffs" in Betracht komme. Die ergibt sich im Übrigen bereits aus den Regelungen zum Internationalen Privatrecht (Art. 40 EGBGB), wonach Ansprüche aus unerlaubter Handlung grundsätzlich dem Recht des Staates unterliegen, in dem sich der ggf. Schadensersatzansprüche auslösende Vorfall ereignet hat. Der BGH hat deshalb die Entscheidung an die Instanzgerichte zurückverwiesen, damit diese das Vorliegen entsprechender Voraussetzungen prüfen mögen. 

Im Ergebnis bedeutet dies, dass formal zunächst die Risiken des Geschäftsführers einer Auslandgesellschaft begrenzt erscheinen. Durch den nicht näher ausgeführten Hinweis des BGH insbesondere auf deliktsrechtliche Vorschriften ergeben sich gleichwohl im Vorfeld nur schwer abschätzbare und eingrenzbare Haftungsrisiken. Hier bleibt die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten.

III. (Gescheitertes) Gesetzesvorhaben zur Herabsetzung des Mindestkapitals innerhalb der GmbH

Am 29. April 2005 hatte das Bundesministerium der Justiz den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mindestkapitals im GmbH-Recht (MindestKapG, BR-Dr. 615/05) den Ländern und Verbänden zur Stellungnahme zugeleitet. Im Rahmen der Europäisierung des Gesellschaftsrechts und mit dem Ziel, die deutsche GmbH international "konkurrenzfähiger" zu machen, sollte mit Wirkung ab 01. Januar 2006 das Mindestkapital der GmbH von derzeit 25 TEUR auf 10 TEUR herabgesetzt werden.  

Am 23. September 2005 ist dieses Gesetzesvorhaben im Bundesrat dezidiert abgelehnt worden. 

Nachdem sich insbesondere die Union massiv gegen diese Pläne der (noch) amtierenden Bundesregierung gewandt hat, ist kaum damit zu rechnen, dass dieses Gesetzesvorhaben nach dem erfolgten Regierungswechsel wieder aufgegriffen wird.  

gez. Dr. Christian Stari

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