Urteil des Bundesgerichtshofs zu den Voraussetzungen für das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO

INSOLVENZRECHT Nr. 1
18.10.2005 | Andreas Noack

In dem nachfolgend in seinen wesentlichen Kernpunkten zusammengefassten Urteil des IX. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes vom 24. Mai 2005 (Az.: IX ZR 123/04), hat dieser sich mit den Voraussetzungen für die Feststellung einer Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO eingehender befasst und hat für die Praxis wesentliche Eckdaten festgelegt.

Gemäß § 17 Abs. 2 InsO ist ein Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit ist durch eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der verfügbaren Zahlungsmittel und der vollständigen zu diesem Zeitpunkt fälligen Geldschulden festzustellen (sog. Liquiditätsbilanz). Hierzu ist eine vollständige und geordnete Vermögensübersicht zu erstellen. Ergibt eine solche Liquiditätsbilanz, dass die verfügbaren Zahlungsmittel nicht ausreichen, um die fälligen Forderungen auszugleichen, so bleibt stets noch zu prüfen, ob es sich um eine geringfügige Liquiditätslücke oder eine bloße Zahlungsstockung handelt, bei welcher eine Zahlungsunfähigkeit nicht vorliegen soll.

Genau mit diesen Fragen hat der IX. Senat sich in seiner Entscheidung vom 24. Mai 2005 auseinandergesetzt und hat diesbezüglich konkrete Richtwerte festgelegt:

Eine Zahlungsunfähigkeit, die sich voraussichtlich innerhalb kurzer Zeit beheben lässt, gilt lediglich als Zahlungsstockung und stellt keinen Insolvenzeröffnungsgrund dar und begründet somit auch keine Insolvenzantragspflicht.

Nach Ansicht des Senats ist der Zeitraum, innerhalb dessen diese Zahlungsstockung beseitigt werden muss, danach zu bemessen, wie lange eine kreditwürdige Person benötigen würde, um sich die benötigten Mittel zu verschaffen. Ein Zeitraum von zwei bis drei Wochen wird hierfür nunmehr als erforderlich und zugleich ausreichend angesehen.

Hieraus folgt, dass eine vorübergehende Zahlungsunfähigkeit nur dann keinen Insolvenzeröffnungsgrund im Sinne des § 17 InsO darstellt, wenn binnen zwei bis drei Wochen die Zahlungsfähigkeit wieder hergestellt werden kann. Ist hiervon anhand objektiver Umstände auszugehen, handelt es sich um eine bloße Zahlungsstockung.

Hieran schließt sich sodann die Frage an, ob nur eine vollständige Beseitigung der Liquiditätslücke die Annahme einer vorübergehenden Zahlungsstockung begründet oder ob auch eine weitestgehende Beseitigung der bestehenden Liquiditätslücke ausreicht. Konkret ist mithin zu klären, ob nur noch eine "geringfügige" Liquiditätslücke zu erwarten ist oder nicht.

Der IX. Senat hat hierzu ausgeführt, dass stets dann, wenn sich die innerhalb der genannten maximal drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners auf weniger als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten beläuft, von keiner Zahlungsunfähigkeit des Schuldner ausgegangen werden kann. Lediglich sofern absehbar ist, dass die Liquiditätslücke demnächst auf mehr als 10 % ansteigt, muss von einer Zahlungsunfähigkeit und somit dem Vorliegen eines Insolvenzeröffnungsgrundes ausgegangen werden.

Es ist also stets auch eine Prognose vorzunehmen, wie die Liquiditätslücke sich innerhalb des Drei-Wochen-Zeitraums verändern kann.

omit gilt auch für den Fall, dass die Liquiditätslücke, welche sich nicht innerhalb von zwei bis drei Wochen beseitigen lässt (dann würde eine bloße Zahlungsstockung vorliegen), zunächst mehr als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten ausmacht, dass regelmäßig von einer Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist, sofern nicht ausnahmsweise zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einem "überschaubaren Zeitraum" vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und somit den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zugemutet werden kann. Wie dieser "überschaubare Zeitraum" zu bemessen sein wird, hat der Senat in seiner Entscheidung leider offen gelassen.

Ergänzend ist hierzu festzuhalten, dass je mehr die konkret festgestellte Unterdeckung sich dem Schwellenwert von 10 % annähert, desto geringere Anforderungen sind an das Gewicht der besonderen Umstände zu richten, mit denen die Vermutung entkräftet werden kann. Umgekehrt müssen umso schwerer wiegende Umstände vorliegen, je größer der Abstand der tatsächlichen Unterdeckung zu dem Schwellenwert ist.

Für die Praxis folgt aus dieser Entscheidung, dass im Einzelfall ganz genau die Höhe der Liquiditätslücke zu ermitteln ist und bei Vorliegen einer solchen anhand objektiver Umstände eine Prognose vorgenommen werden muss, ob diese Liquiditätslücke im erforderlichen Umfang beseitigt werden kann oder nicht.

Hierfür sind folgende Schritte zu beachten: 

  • 1. Wenn eine fällige Verbindlichkeit nicht bedient werden kann, ist eine Liquiditätsbilanz zu erstellen, durch welche die zu diesem Zeitpunkt bestehende Liquiditätslücke zu ermitteln ist.
  • 2. Sodann ist zu prüfen, ob die festgestellte Liquiditätslücke innerhalb von zwei bis drei Wochen vollständig beseitigt werden kann, da es sich dann nur um eine unbeachtliche Zahlungsstockung handelt, welche nicht mit einer Zahlungsunfähigkeit gleichzustellen ist.
  • 3. Sollte dies nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Fall sein, so ist in einem dritten Schritt zu prüfen, ob es sich möglicherweise um eine "geringfügige Liquiditätslücke" handelt, welche dann vermutet wird, wenn die Liquiditätslücke weniger als 10 % der fälligen Verbindlichkeiten beträgt.
  • 4. Sollte die Liquiditätslücke mehr als 10 % betragen, so wird eine Zahlungsunfähigkeit widerlegbar vermutet. Dies bedeutet, dass eine Insolvenzantragspflicht nur dann verneint werden kann, wenn anhand objektiver Umstände ausnahmsweise zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einem "überschaubaren Zeitraum" vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und somit den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zugemutet werden kann. Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt der Insolvenzantragspflichtige die Beweislast.

Hieraus folgt, dass die objektiven Umstände, welche im Einzelfall zur Verneinung einer Zahlungsunfähigkeit trotz Feststellung einer Liquiditätslücke von mehr als 10 % führen, umfassend dokumentiert werden sollten, um diese in etwaigen Fällen der zivilrechtlichen Inanspruchnahme des Antragsverpflichteten bzw. dessen strafrechtliche Verfolgung belegen zu können.

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Redaktion: Rechtsanwalt Andreas Noack

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