Billigkeitskontrolle Gas

ENERGIERECHT Nr. 6
07.11.2007 | Wibke Reimann, Christian Dümke

Am 13. Juni verkündete der BGH seine Entscheidung in dem Verfahren VIII ZR 36/06 zur Billigkeitskontrolle von Gaspreisanpassungen. Das Urteil trifft einige Aussagen zu bisher streitigen Fragen der Preiskontrolle.

I. Sachverhalt

In dem Verfahren stritten die Parteien um die Wirksamkeit einer von der Beklagten vorgenommenen Erhöhung der Gaspreise im Jahre 2004. Der Kläger war Tarifkunde. Die Beklagte versorgt Endverbraucher im Bereich der Stadt Heilbronn mit Erdgas.  Zur Begründung der Preiserhöhung verwies die Beklagte auf eine Kostensteigerung beim Bezug von Erdgas durch ihre Vorlieferanten. Der Kläger begehrte daraufhin die Feststellung, dass die Gaspreiserhöhung durch die Beklagte unbillig und daher unwirksam sei.

II. Verfahrensgang

Das Amtsgericht Heilbronn hatte in 1. Instanz die Unbilligkeit der Preiserhöhung festgestellt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil die Beklagte nur die gestiegenen Bezugspreise weitergegeben habe und die Preiserhöhung daher der Billigkeit entsprechen. Dies hatte das beklagte EVU durch Vorlage eines Wirtschaftsprüfertestats nachgewiesen, dessen Richtigkeit vom Kunden nicht bestritten wurde. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebte der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

III. Entscheidung des BGH

Der BGH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen.
Gegenstand der Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB sei nur die von der Beklagten vorgenommene Preiserhöhung, nicht jedoch der vorherige Ausgangspreis. Dies resultiere aus der Tatsache, dass der Kläger selbst in erster Instanz nur die Feststellung der Unbilligkeit der Erhöhung des Gastarifs beantragt habe.
Im Rahmen der Billigkeitsprüfung trifft der BGH in seiner Entscheidung folgende bedeutsame Kernaussagen:

1. Direkte Anwendbarkeit des § 315 BGB

Nach Ansicht des BGH ist § 315 BGB auf die vorliegende Preiserhöhung direkt anwendbar. Die Preiserhöhung beruhe auf § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV und damit auf einem gesetzlichen einseitigen Leistungsbestimmungsrecht des Lieferanten. Ein derartiges gesetzliches Preisanpassungsrecht sei in Bezug auf die Anwendbarkeit § 315 BGB einem vertraglichen einseitigen Leistungsbestimmungsrecht gleichgestellt. Es komme insoweit auch nicht darauf an, ob § 4 AVBGasV als öffentlichrechtliche oder privatrechtliche Preisänderungsbestimmung anzusehen sei.
Bewertung
Die Auffassung des BGH zur direkten Anwendbarkeit des § 315 BGB für Preisanpassungen nach § 4 AVBGasV bzw. AVBEltV wurde bereits in seiner letzten Entscheidung für den Bereich der Billigkeitskontrolle von Strompreiserhöhungen angedeutet (BGH Urteil vom 28. März 2007, Az: VIII ZR 144/06, Seite 9). Das AG Heilbronn war in seiner Ausgangsentscheidung noch von einer analogen Anwendung des § 315 BGB ausgegangen ohne zunächst auf die Möglichkeit der direkten Anwendung näher einzugehen.

2. § 315 BGB in direkter Anwendung nicht zu §§ 19, 33 GWB subsidiär

Weiterhin urteilte der BGH, trete die Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB vorliegend nicht hinter einem möglichen Unterlassungsanspruch nach § 19 Abs. 4 Nr. 2, § 33 GWB wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung zurück. Der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch nach § 19 Abs. 4 Nr. 2, § 33 GWB sei ein deliktischer Anspruch, der anders als § 315 BGB keine unmittelbare Gestaltungsmöglichkeit in Bezug auf die Leistungsbestimmung einräume.
Bewertung
Hierüber herrschte bislang Uneinigkeit in der Literatur. Der BGH hebt die Bedeutung des § 315 Abs. 3 BGB hervor, als eine "Regelung des Vertragsrechts, der ein hoher Gerechtigkeitsgehalt zu kommt."

3. Weitergabe gestiegener Bezugskosten entspricht der Billigkeit

Der BGH hat im Ergebnis die Billigkeit der durch die Beklagte vorgenommenen Preiserhöhung bejaht. Vorliegend hatte die Beklagte lediglich ihre gestiegenen Bezugspreise an den Kläger weitergegeben. Dies entspreche dem Grundsatz der Billigkeit. Hieran habe das Gasversorgungsunternehmen ein berechtigtes Interesse. Eine Preiserhöhung unter Verweis auf gestiegene Bezugskosten sei lediglich dann unbillig, wenn und soweit dieser Anstieg durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen werde. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall gewesen.
Vorliegend erfolgte der Nachweis der bloßen Weitergabe gestiegener Bezugskosten anhand eines Gutachtens eines Wirtschaftsprüfungsunternehmens, dessen Richtigkeit der Kläger im Laufe des Prozesses zugestanden hatte.
Der BGH hat es weiterhin dahinstehen lassen, ob eine Billigkeitskontrolle auch anhand eines Vergleichs mit den Gaspreisen anderer Versorgungsunternehmen vorgenommen werden könnte.
Bewertung
Der BGH hat Wirtschaftsprüfertestate zum Nachweis der Billigkeit akzeptiert, allerdings mit der Besonderheit, dass diese vorliegend von der Gegenseite nicht (mehr) bestritten wurden. Eine generelle Beweiseignung derartiger Testate ist daher im Fall des Bestreitens durch den Kunden nicht sicher, erscheint aber überwiegend wahrscheinlich.
Dies würde eine Erleichterung für die Energieversorger darstellen. Gegenüber Kunden, die die Unbilligkeitseinrede erhoben haben, könnte der Billigkeitsnachweis relativ einfach durch Vorlage entsprechender Testate von Wirtschaftsprüfern geführt werden, sofern die Preisanpassungen wie im BGH Urteil auf einer Weitergabe gestiegener Bezugskosten beruhen. In diesem Fall bedarf es damit keiner Offenlegung der gesamten Preiskalkulation mehr, zu der viele Energieversorger bisher nicht bereit waren.
Allerdings bleibt weiterhin offen, ob eine Billigkeitskontrolle auf dem einfacheren Weg des Preisvergleiches mit Energieversorgern in einer vergleichbaren Marktsituation, ohne Offenlegung der Preiskalkulationen des Energieversorgers, erfolgen kann. Dahingehende Überlegungen hatte der BGH bereits in seinem Hinweisbeschluss vom 14. März 2007 zu diesem Verfahren (Ziffer 4 des Beschlusses VIII ZR 36/06) geäußert aber in der Entscheidung nicht weitererörtert.

4. Keine Billigkeitskontrolle der Verträge vorgelagerter Lieferketten

Eine Billigkeitsprüfung nach § 315 BGB erstreckt sich nach Auffassung des BGH nicht auf die auf einer vorgelagerten Stufe der Lieferkette vereinbarten Preise zwischen Vorlieferant und Gasversorger, auch wenn diese letztendlich die Ursache der Preisanpassung gegenüber dem Kunden bilden.
Bewertung
Aufgrund dieser Eingrenzung des Rahmens der Billigkeitsprüfung ist zu erwarten, dass der Gasversorger künftig seine Vertragsgestaltung mit den Vorlieferanten nur noch insoweit offen legen müsste um ggf. die Weitergabe von Preiserhöhungen zu belegen.

5. Vereinbarte Gas-Ausgangspreise unterliegen nicht § 315 BGB

Eine Einbeziehung des vor der Preisanpassung geltenden Ausgangstarifs in die Billigkeitsprüfung lehnte der BGH gleichfalls ab. Die bis zur Preiserhöhung geltenden Tarife seien nicht einseitig von der Beklagten nach billigem Ermessen festgelegt worden sondern einvernehmlich zwischen den Parteien vereinbart gewesen. Für die direkte Anwendung des § 315 BGB fehle es in diesem Fall an einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht einer Vertragspartei.
Auch eine analoge Anwendung des § 315 BGB zur Überprüfung der Ausgangspreise lehnte der BGH ab. Der Kläger habe weder einem Anschluss- oder Benutzungszwang hinsichtlich der Gasversorgung unterlegen, noch habe die Beklagte eine Monopolstellung als Versorgungsunternehmen inne. Die Beklagte sei zwar örtlich der einzige leitungsgebundene Gasversorger, stehe aber wie alle Gasversorgungsunternehmen in einem Substitutionswettbewerb mit Anbietern konkurrierender Heizenergieträger wie Heizöl, Strom, Kohle und Fernwärme.
Bewertung
Im Gegensatz zu einer früheren Entscheidung (BGH Urteil vom 04.12.1986, NJW 1987, S. 1828 ff,) der auch das AG Heilbronn noch gefolgt war, verneint der BGH nun eindeutig eine Monopolstellung von Gasversorgern unter Verweis auf den Substitutionswettbewerb. Dies dürfte das Ende der Möglichkeit des Kunden bedeuten, den vereinbarten Gasgesamtpreis durch die Erhebung des Unbilligkeitseinwands gerichtlich überprüfen zu lassen. Eine derartige Überprüfung des Gesamtpreises wurde bisher mit einer analogen Anwendung des § 315 BGB aufgrund einer Monopolstellung des Gasversorgers begründet.

6. Hinnahme von Preisanpassungen schließt Unbilligkeitseinrede aus

Auch ein Ausgangspreis der bereits in der Vergangenheit Preisanpassungen erfahren hat unterliegt nicht mehr der Billigkeitsprüfung sofern der Kunde - wie vorliegend der Kläger - diese Anpassungen unbeanstandet hingenommen hat. Durch die unbeanstandete Hinnahme einer Jahresendabrechnung nach einer Preisanpassung muss der angepasste Preis nach Auffassung des BGH wie ein einvernehmlich zwischen den Parteien vereinbarter Preis angesehen werden.
Bewertung
Im Umkehrschluss bedeutet diese Aussage des BGH, dass ein Kunde, der eine angekündigte Preisanpassung als unbillig empfindet, nicht bereits die monatlichen Abschläge unter Vorbehalt leisten muss, sondern den Einwand der Unbilligkeit auch erst im Zuge seiner Jahresabrechnung erheben kann, ohne dass in der Zahlung der Abschläge eine Hinnahme der Anpassung zu sehen wäre.

IV. Abschließende Bewertung

Die Grundsätze der Entscheidung des BGH hatten sich bereits im Hinweisbeschluss vom 14. März 2007 zu diesem Verfahren (Ziffer 4 des Beschlusses VIII ZR 36/06) angedeutet.

Eine Billigkeitskontrolle von Preiserhöhungen, die auf der Ausübung eines einseitigen Preisanpassungsrecht des Gasversorgers beruhen, bleibt weiterhin in direkter Anwendung des § 315 BGB möglich.

In der Gasgrundversorgung ergibt sich ein solches einseitiges Preisbestimmungsrecht des Gasversorgers aus § 5 Abs. 2 GasGVV (früher § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV). Dies bedeutet, dass sich auch künftig grundversorgte Kunden, sowie Sonderkunden mit einem vergleichbaren vertraglichen Preisanpassungsrecht, mit dem Einwand der Unbilligkeit gegen Preiserhöhungen wenden können.

Durch das Urteil des BGH, welches eine analoge Anwendung des § 315 BGB in der Gasversorgung ausschließt, ist nun jedoch klargestellt, dass sich der Kunde in diesem Fall grundsätzlich lediglich gegen die Spanne der Preiserhöhung wenden und nicht für den gesamten Preis eine Billigkeitskontrolle verlangen kann. Dies bedeutet, dass die Offenlegung der gesamten Preiskalkulation nicht mehr notwendig ist und daher auch nicht im Rahmen der Unbilligkeitseinrede vom Kunden gefordert werden kann.

Dies dürfte für viele Gasversorger eine Erleichterung darstellen, die zum Schutz ihrer Geschäftsinteressen auf eine Offenlegung ihrer Preiskalkulation verzichten mussten und daher gegenüber widersprechenden Kunden die Billigkeit bislang nicht belegen konnten.

Beruht die Preisanpassung eines Gasversorgers auf der Weitergabe gestiegener Bezugskosten, ohne das die Kostensteigerung durch gesunkene andere Kostenfaktoren kompensiert wird, so kann dieser Billigkeitsnachweis durch den Nachweis dieser Kostensteigerung geführt werden.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Nachweis auch beinhalten muss, dass die gestiegenen Bezugskosten nicht durch Kostensenkungen in anderen preisbildenden Bereichen kompensiert werden. Am geeignetsten wird dieser Nachweis über die Vorlage entsprechender Wirtschaftsprüfertestate zu führen sein, da auch der BGH diese Nachweisform akzeptiert hatte.

Die Frage ob sich der Nachweis der Billigkeit, für den Versorger relativ unkompliziert, auch durch einen Preisvergleich mit anderen Gasversorgern führen ließe, blieb leider weiterhin offen, obwohl der BGH diese Möglichkeit in seinem Hinweisbeschluss vom 14. März 2007 noch in Erwägung gezogen hatte. Insoweit bleibt hierzu die weitere Entwicklung abzuwarten.

V. Handlungsempfehlungen

Aufgrund der dargestellten neuen BGH Rechtsprechung empfiehlt sich gegenüber Kunden, die die Einrede der Unbilligkeit gegen Preisanpassungen erhoben haben, folgendes Vorgehen:

1. Die Kunden sollten mit Hinweis auf die BGH-Entscheidung erneut angeschrieben werden.

2. Wirtschaftsprüfertestate für die streitigen Preisanpassungen sollten vorliegen und dem Kunden in Kopie übersandt und / oder im Internet veröffentlicht werden, um so den erforderlichen Nachweis der Billigkeit gegenüber dem Kunden zu führen.

3. Kunden, die ihre Zahlung beschränkt haben, sollten erneut zur Zahlung aufgefordert werden. Eine Sperrandrohung ist möglich, aber nicht risikolos, da der Kunde zur Abwendung der Versorgungsunterbrechung einen Antrag auf einstweiligen Rechtschutz stellen kann. Die Gerichte haben bislang unterschiedlich entschieden, ob die Billigkeitsprüfung bereits im einstweiligen Rechtschutzverfahren erfolgen kann.

4. Verweigert ein Kunde weiterhin die Zahlung ist ein Klageverfahren notwendig. Hierbei ist zu beachten, dass die Zahlungsansprüche einer 3jährige Verjährungsfrist unterliegen und ein billiger Preisanspruch bereits fällig geworden ist.

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gez. Wibke Reimann Christian Dümke
Rechtsanwältin Rechtsanwalt

Redaktion

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