Wichtiges zur Rückforderung von Netznutzungsentgelten - Vorsicht bei Vergleichsabschlüssen

ENERGIERECHT Nr. 1
27.08.2008 | Wibke Reimann, Alice Martens

I. Beschlüsse des BGH vom 14. August 2008 in sechs Rechtsbeschwerdeverfahren zur gerichtlichen Überprüfung von Netzentgeltgenehmigungen  - KVR 27/07, KVR 34-36/07, KVR 39/07 und KVR 42/07 -

Insgesamt sechs Netzbetreiber haben gegen ihre Netzentgeltgenehmigungen Rechtsbeschwerdeverfahren durchgeführt, über die der BGH am 14. August 2008 zu entscheiden hatte. Unter anderem betraf dies die Rechtsbeschwerde der Vattenfall Europe Transmission GmbH. Wir hatten über die Entscheidung des OLG Düsseldorf im parallel durchgeführten, einstweiligen Rechtsschutzverfahren zuletzt in unserer Kurzinfo "Recht aktuell Nr. 5/ 2006" berichtet.

Derzeit hat der BGH lediglich eine Presserklärung über seine Entscheidungen vom 14. August 2008 veröffentlicht. Daraus ergibt sich aber bereits, dass beim Abschluss von Vergleichen über die Rückzahlung von Netznutzungsentgelten Vorsicht geboten ist.

1. Zulässigkeit der Mehrerlösabschöpfung für Netznutzungsentgelte, die vor der ersten Netzentgeltgenehmigung erhoben wurden
Das OLG Düsseldorf hatte mit Beschluss vom 21. Juli 2006 - VI 3 Kart 289/06 (V)- im Eilverfahren sowie mit Beschluss vom 09. Mai 2007 im Beschwerdeverfahren über verschiedene Rechtsfragen im Netzentgeltgenehmigungsverfahren zu entscheiden. Dies betraf beispielsweise die Frage der Zulässigkeit der Mehrerlösabschöpfung für Netzentgelte, die vor der ersten Genehmigung erhoben wurden. Das OLG hatte die Mehrerlösabschöpfung für rechtswidrig gehalten.

Der BGH hat sich dieser Ansicht des OLG Düsseldorf offenbar nicht angeschlossen. Der veröffentlichten Pressemitteilung des BGH, Nr. 156/2008, lässt sich folgendes entnehmen:

"Geklärt wurde in den Beschlüssen schließlich auch die Frage, wie mit Mehrerlösen zu verfahren ist, die die Netzbetreiber vor der ersten Erteilung der Genehmigung vereinnahmt haben. Diese Mehrerlöse fielen an, weil die Netzbetreiber bis zur Entscheidung der Regulierungsbehörden im Zusammenhang mit einer Übergangsbestimmung letztlich überhöhte Entgelte gefordert haben. Der Bundesgerichtshof hat insoweit nun klargestellt, die Regelungen der Stromnetzentgeltverordnung beanspruchten zwar auch für diesen Zeitraum Geltung, eine Rückabwicklung der betroffenen Vertragsbeziehungen komme aber nicht in Betracht. Die Mehrerlöse seien vielmehr in der nächsten Kalkulationsperiode entgeltmindernd zu berücksichtigen."

Bewertung:

Wichtigste Aussagen dabei sind, dass der BGH eine Rückabwicklung der betroffenen Vertragsbeziehungen generell ablehnt. Dies könnte bedeuten, dass der BGH gerade für den Zeitraum ab Geltungsbeginns der Netzentgeltverordnungen (ab dem 29. Juli 2005) bis zur ersten Genehmigungserteilung Rückforderungsansprüche von Lieferanten gegenüber den Netzbetreibern ablehnt und stattdessen ausschließlich einen Ausgleich der aus Sicht des BGH zu Unrecht erzielten Mehrerlöse über die zukünftigen Netzentgeltgenehmigungen bzw. ab dem 01.01.2009 über die späteren Regulierungsperioden der Anreizregulierung für zulässig hält. Es bleibt abzuwarten, wie der BGH diese Rechtsauffassung im Einzelnen begründet und ob sich daraus ergeben wird, ob und wie bereits erfolgte Vergleichsabschlüsse für diesen Zeitraum berücksichtigt werden können. Mit einer Begründung rechnen wir jedoch frühestens Mitte September 2008. Erst dann können die Auswirkungen der Entscheidung des BGH abschließend bewertet werden.
Bis dahin bedeutet die Entscheidung des BGH aus unserer Sicht aber, dass ein Vergleichsabschluss über Rückforderungsansprüche von Lieferanten zumindest für den Zeitraum des Inkrafttretens der Entgeltverordnungen (also ab dem 29. Juli 2005) bis zum Zeitpunkt der ersten Genehmigungserteilung derzeit nicht mehr anzuraten ist.

II. Konsequenzen für den Umgang mit Rückforderungen von Netznutzungsentgelten  BGH-Urteil vom 04. März 2008 ("Stromnetzentgelt III")

Für den Zeitraum 2004 bis zum Inkrafttreten der Netzentgeltverordnungen (29. Juli 2005) haben sich durch die Entscheidungen des BGH keine wesentlichen Änderungen gegenüber dem bisherigen Prozessrisiko des Netzbetreibers ergeben.

So hat der BGH in seiner Entscheidung vom 04. März 2008 - Stromnetzentgelte III - (ZNER 2008, S. 154 ff.) bestätigt, dass die Beweislast für eine billige Festsetzung der Netzentgelte beim Netzbetreiber liegt. In Abgrenzung zur Entscheidung des
VIII. Zivilsenats des BGH zur Billigkeit von Gaspreisen, hat der Kartellsenat in der vorgenannten Entscheidung - Stromnetzentgelte III - festgestellt, dass auch der Ausgangspreis einer Überprüfung nach § 315 BGB unterliegt, da der Netzbetreiber über ein natürliches Monopol verfüge. Eine kleine Einschränkung der Billigkeitsüberprüfung hat der Kartellsenat in den Fällen gesehen, in denen sich die Parteien im Lieferantenrahmenvertrag ausdrücklich darauf verständigt hatten, dass die Netznutzungsentgelte im Rahmen des § 6 EnWG 2003 in Verbindung mit der Verbändevereinbarung Strom II plus vom Netzbetreiber einseitig festgelegt werden konnten. Zwar hat sich der BGH auch hier nicht abschließend festgelegt, ob bei Einhaltung der Vorgaben der Verbändevereinbarung Strom II plus ein billiges Netzentgelt in diesen Fällen vorliegt, er hat es aber immerhin als fernliegend beurteilt, dass es für das vertraglich insoweit konkretisierte Billigkeitsurteil noch auf weitere, außerhalb des Energiewirtschaftsrechts liegende Faktoren ankommen könne (BGH, ZNER 2008, S. 156).

Bewertung:

Eine Risikoeinschätzung hängt nach der Entscheidung auch davon ab, ob im Lieferantenrahmenvertrag eine vergleichbare Klausel zu der Klausel enthalten ist, die der BGH bei seiner Entscheidung berücksichtigt hatte. Dies ist im Einzelfall zu prüfen. Enthält der Lieferantenrahmenvertrag eine solche Klausel und hat der Netzbetreiber nachweislich seine Netzentgelte nach den Vorgaben der vertraglich in Bezug genommenen Verbändevereinbarung kalkuliert, könnte sich das Prozessrisiko insoweit etwas verringern. Leider zeigt die Erfahrung, dass es in vielen Fällen bereits an einer aktuellen und ordnungsgemäßen Kalkulation der Netzentgelte nach der gültigen Verbändevereinbarung fehlt. Zur Überprüfung der Kalkulation dürfte die Überprüfung durch einen Sachverständigen erforderlich sein, was unabhängig vom Streitwert zu hohen Kosten führen kann. Im Einzelfall sind auch besondere Umstände, wie etwa die Zahlung unter Vorbehalt und die Auswirkungen des Vorbehalts auf die Darlegungs- und Beweislastverteilung, zu berücksichtigen.

Da es sich - legt man die Entscheidung des BGH unter I. zugrunde - nur noch um einen sehr begrenzten Zeitraum für die Rückforderung von Netzentgelten handeln wird, könnte ein Vergleichsabschluss für den Zeitraum bis zur Geltung der Netzentgeltverordnungen in Betracht zu ziehen sein. Wir raten allerdings derzeit noch dazu, mit einem Vergleichsabschluss jedenfalls so lange zu warten, bis die Entscheidungsgründe des BGH zu den Beschlüssen vom 14. August 2008 vorliegen.

III. Konsequenzen für bereits abgeschlossene Vergleiche auch für den Zeitraum ab Geltung der Netzentgeltverordnungen (ab 29. Juli 2005) 

Soweit Netzbetreiber bereits einen Vergleich auch für den Zeitraum ab Geltung der Netzentgeltverordnungen abgeschlossen haben, ist derzeit unklar, ob diese im Rahmen der Mehrerlösberechnung berücksichtigt werden. Möglicherweise ergeben sich aus der ausführlichen Begründung des BGH zu seinen Beschlüssen vom 14. August 2008 Hinweise darauf, wie der Mehrerlös berechnet werden kann und ob Vergleichszahlungen berücksichtigt werden. Wir werden Sie insoweit auf dem Laufenden halten.

Für Fragen stehen wir Ihnen gerne jederzeit zur Verfügung.

gez.
Wibke Reimann
Rechtsanwältin

gez.
Alice Martens
Rechtsanwältin

Redaktion

Redaktion: Rechtsanwältin Wibke Reimann und Rechtsanwältin Alice Martens

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# Tags: Recht Aktuell, Energierecht, Wibke Reimann