AKTUELLE RECHTSPRECHUNG ZUM DISKRIMINIERUNGSVERBOT

ARBEITSRECHT Nr. 4
15.04.2010 | Glenn Dammann, Stephanie Musiol

I. Altersdiskriminierung bei Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten vor dem 25. Lebensjahr

- EuGH, Urteil vom 19.01.2010, Az.: C-555/07 -

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass die Nichtanrechnung der vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegenden Beschäftigungszeiten eines Arbeitnehmers bei der Berechnung der Kündigungsfrist gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstößt. Mit der Entscheidung hat der EuGH das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters erneut bekräftigt und seine diesbezügliche Rechtsprechung konsequent fortgesetzt. Bereits in seinem "Mangold-Urteil" vom 22.11.2005 (- Az.: C-144/04 -) hatte der EuGH das Verbot der Altersdiskriminierung als einen allgemeinen Grundsatz des europäischen Rechts anerkannt.

Die Entscheidung

Im zugrunde liegenden Fall hatte eine 28-jährige Arbeitnehmerin geklagt, die nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von - nur - einem Monat entlassen wurde. Der Arbeitgeber hatte dabei die Kündigungsfrist - den Bestimmungen des deutschen Rechts entsprechend - unter Zugrundelegung einer Beschäftigungsdauer von "nur" drei Jahren berechnet. Nach deutschem Arbeitsrecht verlängern sich die vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungs-fristen stufenweise mit zunehmender Beschäftigungsdauer. Ausgenommen sind gem. § 622 Abs. 2 BGB jedoch Beschäftigungszeiten, die noch vor der Vollendung des 25. Lebensjahres liegen. Die Klägerin machte geltend, dass diese Regelung eine europarechtlich verbotene Altersdiskriminierung darstelle; die Kündigungsfrist sei unter Berücksichtigung der tatsächlichen Beschäftigungsdauer von zehn Jahren zu berechnen gewesen und hätte folglich vier Monate betragen müssen.

Der EuGH gab ihr Recht und führte zur Begründung aus, dass § 622 Abs. 2 BGB eine allein auf dem Kriterium des Alters beruhende Ungleichbehandlung enthalte. Diese (deutsche) Regelung behandle Arbeitnehmer, welche die gleiche Betriebszugehörigkeit aufweisen, unterschiedlich, je nachdem, in welchem Alter sie in den Betrieb eingetreten sind. Sie sei auch nicht durch ein legitimes Ziel des Arbeitsmarktes oder der Beschäftigungspolitik gedeckt. Das Gericht hat daher festgestellt, dass die deutsche Regelung der sog. "Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie" (Richtlinie 2000/78) sowie dem nunmehr auch in der EU-Grundrechtscharta festgeschriebenen Grundrecht auf Nichtdiskriminierung entgegensteht und insoweit europarechtswidrig ist. Zugleich wies der EuGH die deutschen Gerichte an, nicht nur die in Rede stehende, sondern jede wegen Alters diskriminierende Regelung des nationalen Rechts - auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten - nicht mehr anzuwenden, und zwar auch dann, wenn der EuGH hierüber noch nicht entschieden hat.

Fazit

Zunächst haben sich mit dem Urteil die Kündigungsfristen vieler Arbeitnehmer, die bereits vor ihrem 25. Lebensjahr in das Beschäftigungsverhältnis eingetreten sind, verlängert. Voraussetzung ist, dass die entsprechenden Beschäftigungszeiten auch zu einem "Stufensprung" innerhalb der gestaffelten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB führen. Auch arbeits- oder tarifvertragliche Regelungen, die bei der Berechnung von Kündigungsfristen Beschäftigungszeiten erst ab einem bestimmten Lebensalter berücksichtigen, sind nunmehr unwirksam. Dies sollten Arbeitgeber künftig zwingend beachten! Kündigungsfristen sind folglich - ab sofort - nach der neuen EuGH -Rechtsprechung zu berechnen und entsprechende Regelungen in Arbeitsverträgen ggf. anzupassen.

Von besonderer Bedeutung ist zudem, dass die neue Rechtsprechung auch in der Vergangenheit liegende Sachverhalte betrifft. Arbeitgeber die bisher auf die Anwendbarkeit der arbeitsgesetzlichen Regelung vertraut haben, werden in ihrem Vertrauen wohl nicht geschützt. Zwar führt die neue Rechtsprechung nicht zur Unwirksamkeit bereits ausgesprochener Kündigungen mit zu kurzer Kündigungsfrist, sondern lediglich zu deren Verlängerung. Allerdings können Arbeitgeber in Einzel-fällen nachträglichen Entgeltansprüchen bereits ausgeschiedener Arbeitnehmer, deren Kündigungsfrist unzulässig kurz berechnet wurde, ausgesetzt sein. Ob der deutsche Staat aufgrund seiner "europarechtlichen Ignoranz" in solchen Fällen von den betroffenen Arbeitgebern im Wege der Staatshaftung auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann, ist mehr als fraglich.

Letztendlich ist Arbeitgebern zukünftig bei allen (alters-) diskriminierungsrelevanten Sachverhalten zu besonderer Aufmerksamkeit zu raten, da der EuGH in seiner Entscheidung die "pauschale" Diskriminierung nach dem Alter beanstandet und die nationalen Gerichte ausdrücklich dazu aufgefordert hat, sich über Gesetze hinwegzusetzen, die diese als diskriminierend erachten. Vorsicht ist daher bspw. auch bei altersabhängigen tariflichen Gehaltsstufen und Unkündbarkeitsregelungen sowie bei der Altersgruppenbildung im Rahmen der Sozialauswahl oder der Altersdifferenzierung in Sozialplänen (vgl. hierzu den Beitrag unter II.) geboten.

II. Altersdifferenzierung in Sozialplänen

- BAG, Urteil vom 26.05.2009, Az.: 1 AZR 198/08 -

Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) dürfen Sozialpläne eine nach Lebensalter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung vorsehen und rentennahe Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen ausnehmen. Die hiermit verbundene unterschiedliche Behandlung verstößt nicht gegen das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung.

Die Entscheidung

n dem vom BAG zu entscheidenden Fall klagte ein Arbeitnehmer auf Zahlung einer erhöhten Sozialplanabfindung. Der streitgegenständliche Sozialplan sah für bis zu 59-jährige Mitarbeiter eine Abfindung aus einer von der Betriebszugehörigkeit abhängigen Berechnungsformel vor. Mitarbeiter mit einem höheren Lebensalter als 59 Jahre erhielten hingegen nach den dortigen Regelungen für jeden bis zum 63. Lebensjahr noch fehlenden Monat einen Betrag i. H. v. 1.700 EUR sowie einen Festbetrag von 20.000 EUR. Der Sozialplan enthielt folglich unterschiedliche Abfindungsregelungen für "bis zu 59-jährige" und für ältere Mitarbeiter ("ab 59 Jahre"), aufgrund derer letztere durchweg geringere Abfindungen bekamen. Der fast 60-jährige Kläger berief sich deshalb auf die Unwirksamkeit der Sozialplanregelung wegen Altersdiskriminierung und machte die Differenzzahlung geltend.

Das BAG erklärte die getroffene Altersdifferenzierung für wirksam. Es bestehe ein legitimes sozial-politisches Interesse daran, die Abfindungshöhe danach zu bestimmen, welche wirtschaftlichen Nachteile den Arbeitnehmern durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes drohen. Derartige Nachteile können mit steigendem Alter zunächst zunehmen, weil damit die Gefahr längerer Arbeitslosigkeit regelmäßig wächst. Sie können gleichwohl bei Arbeitnehmern, die nach dem vorübergehenden Bezug von Arbeitslosengeld in der Lage sind, Altersrente zu beanspruchen, aber auch geringer sein als bei Arbeitnehmern, denen noch lange Zeiten der Arbeitslosigkeit bevorstehen. Daher verstößt nach Auffassung des BAG eine Altersdifferenzierung zwischen "rentenfernen" und "rentennahen" Jahrgängen nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung. Diese Ungleichbehandlung verfolge ein legitimes Ziel und sei durch § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG gedeckt. 

Gleiches gelte für Sozialplanregelungen, welche die Höhe der Abfindung auch von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängig machen. Die damit verbundene "mittelbare" Benachteiligung jüngerer Mitarbeiter im Unternehmen verfolgt nach Ansicht des BAG aufgrund der wesentlich vom Alter abhängigen Chancen auf dem Arbeitsmarkt ebenfalls ein rechtmäßiges Ziel.

Fazit

Mit der Entscheidung hat das BAG klargestellt, dass - auch nach Inkrafttreten des AGG - Sozialpläne eine nach "Alter" oder "Betriebszugehörigkeit" gestaffelte Abfindung vorsehen dürfen und niedrigere Sozialplanleistungen für rentennahe Arbeitnehmer vom deutschen Gesetz gedeckt sind. 

Trotz dieser erfreulichen Klarstellung und der damit - zunächst - geschaffenen Rechtssicherheit ist vor dem Hintergrund der ebenfalls hier erörterten EuGH Entscheidung vom 19.01.2010 (vgl. den Beitrag unter I.) auch weiterhin Vorsicht bei der Gestaltung von Altersdifferenzierungen in Sozialplänen, insbesondere im Hinblick auf die Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer, geboten. Denn ob letztere tatsächlich durchweg bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben als ältere Arbeitnehmer, wie vom BAG angeführt, kann mit Blick auf die augenblickliche Wirtschafts- und Auftragslage sowie die geringere Berufserfahrung durchaus angezweifelt werden.

III. Altersdiskriminierende Stellenausschreibung

- BAG, Beschluss vom 18.08.2009, Az.: 1 ABR 47/08 -

Die Begrenzung einer - innerbetrieblichen - Stellenausschreibung auf "Arbeitnehmer im ersten Berufsjahr" kann nach Ansicht des BAG eine nach dem AGG unzulässige Benachteiligung wegen des Alters darstellen. Eine solche Beschränkung kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber mit ihr ein rechtmäßiges Ziel verfolgt und die in der beschränkten Ausschreibung liegende Benachteiligung älterer Arbeitnehmer zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ist.

Die Entscheidung

In dem zugrunde liegenden Fall hat das BAG die Voraussetzungen einer Benachteiligung älterer Bewerber als gegeben angesehen und daher dem Antrag eines Betriebsrates auf Unterlassung der Stellenausschreibung stattgegeben. Es würden zwar nicht ausdrücklich "jüngere" Arbeitnehmer gesucht. Mitarbeiter mit mehrjähriger Berufserfahrung weisen jedoch typischerweise gegenüber Arbeitnehmern im ersten Berufsjahr ein höheres Lebensalter auf. Dies galt hier umso mehr, als die Arbeitnehmer im ersten Berufsjahr durchschnittlich 29, im zweiten Berufsjahr durchschnittlich 36 und ab dem dritten Berufsjahr durchschnittlich 43 Jahre alt waren. Insofern beinhaltete die Stellenausschreibung offenkundig eine Benachteiligung älterer Mitarbeiter. Die Berufung des Arbeitgebers auf das ihm vorgegebene Personalbudget hat das BAG als offensichtlich ungeeignet angesehen, die Differenzierung wegen des Alters zu rechtfertigen. Daher habe er grob gegen seine Pflicht zu einer diskriminierungsfreien Stellenausschreibung nach § 11 AGG verstoßen. Folgerichtig konnte der Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 AGG vom Arbeitgeber verlangen, in den Stellenausschreibungen auf die Angabe zu Art und Umfang der Berufserfahrung zu verzichten.

Fazit

Bei der Gestaltung von Stellenausschreibungen ist nach wie vor erhebliche Achtsamkeit geboten, insbesondere, da auch sog. (nur) "mittelbare" Benachteiligungen - wie im vorliegenden Fall - eine sanktionsfähige Diskriminierung darstellen können. Da insoweit an die Rechtfertigungsgründe hohe Anforderungen gestellt werden, sollten Arbeitgeber von vornherein auf eventuell benachteiligende Formulierungen verzichten. Die Benachteiligungsgründe des AGG - "Rasse", "ethnische Herkunft", "Geschlecht", "Religion" oder "Weltanschauung", "Behinderung", "Alter" sowie "sexuelle Identität" - sind daher vor jeder Ausschreibung zu berücksichtigen. 

Um langwierige und kostenintensive gerichtliche Auseinandersetzungen - insbesondere mit dem Betriebsrat - zu vermeiden, empfiehlt es sich, bei Unsicherheiten schon bei der Formulierung einer Stellenausschreibung Rechtsrat einzuholen.

IV. Benachteiligung behinderter Bewerber

1. Unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch als Indiz für Benachteiligung

- BAG, Urteil vom 16.09.2009, Az.: 9 AZR 791/07 -

Zur Erhöhung seiner Chancen im Auswahlverfahren ist ein schwerbehinderter Bewerber nach § 82 Satz 2 SGB IX von einem öffentliche Arbeitgeber regelmäßig zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Nach § 82 Satz 3 SGB IX entfällt diese Pflicht nur dann, wenn dem schwerbehinderten Bewerber offensichtlich die fachliche Eignung fehlt. Ob die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, ist an dem mit der Stellenausschreibung bekannt gemachten Anforderungsprofil zu bestimmen.

Die Entscheidung

Das BAG hatte über die Entschädigungsforderung eines schwerbehinderten Klägers wegen einer Benachteiligung im Stellenbesetzungsverfahren zu entscheiden. Der Kläger - mit einem Grad der Behinderung von 50 - hatte sich bei dem beklagten Landkreis auf eine Stellenausschreibung als Volljurist beworben. In der Stellenausschreibung waren ein abgeschlossenes Jurastudium und besondere Kenntnisse im Verwaltungsrecht, jedoch keine Mindestexamensnoten gefordert worden. Der Kläger, welcher beide Staatsexamina mit der Note "ausreichend" bestanden hatte und zudem aufgrund seiner vorherigen Tätigkeit gute Kenntnisse im Verwaltungsrecht aufwies, erfüllte dieses Anforderungsprofil. Gleichwohl hatte ihn der beklagte Landkreis entgegen § 82 Satz 2 SGB IX nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Dem nachfolgend geltend gemachten Anspruch des Klägers auf eine Entschädigung i. H. v. drei Monatsvergütungen trat der Beklagte mit der Begründung entgegen, dem Kläger habe offensichtlich die fachliche Eignung gefehlt und in der engeren Auswahl seien nur Bewerber mit "überdurchschnittlichen" Staatsexamen berücksichtigt worden.

Das BAG gab dem Kläger Recht. In seiner Begründung folgt es den schon in seinen Urteilen vom 12. September 2006 (NZA 2007, S. 507) und 16. September 2008 (NZA 2009, S. 79) aufgestellten Grundsätzen, wonach bereits die unterlassene Einladung zum Vorstellungsgespräch nach § 82 Satz 2 SGB IX die Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lasse. Diese Vermutung habe der Beklagte hier auch nicht widerlegen können, denn dem Kläger habe die fachliche Voraussetzung für die ausgeschriebene Stelle nicht gefehlt. Wann die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, richte sich nach dem Anforderungsprofil der konkreten Stellenausschreibung. Mindestnoten seien hier indes nicht verlangt worden. Die Begründung des Beklagten, dass die Vorauswahl anhand der Examen nicht an die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers anknüpfe, schließe nicht aus, dass die Behinderung bei der Ablehnung des Bewerbers nicht doch mitberücksichtigt wurde. Entscheidend für die Beurteilung einer Benachteiligung sei insoweit die objektive Rechtslage. Es komme daher nicht darauf an, ob der Arbeitgeber eine Benachteiligung beabsichtige, sondern es genüge, dass die unterlassenen Maßnahmen objektiv dazu geeignet seien.

Fazit

Die Entscheidung bekräftigt die Pflicht des - öffentlichen - Arbeitgebers nach § 82 Satz 2 SGB IX, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Allein die unterlassene Einladung rechtfertigt die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Zudem macht die Entscheidung deutlich, dass an die Widerlegung der Vermutung einer Benachteiligung hohe Anforderungen zu stellen sind. So schließt nach dem BAG die bessere Eignung von Mitbewerbern eine Benachteiligung nicht aus. Dies folgt bereits aus § 15 Abs. 2 AGG, der eine Entschädigung selbst dann vorsieht, wenn der behinderte Bewerber auch bei einer benachteiligungsfreien Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Der schwerbehinderte Bewerber muss daher auch dann eine Chance zum Vorstellungsgespräch erhalten, wenn seine Eignung zwar zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Die Entscheidung stellt weiterhin klar, dass der Arbeitgeber für die Dauer seines Auswahlverfahrens an diejenigen Anforderungen gebunden bleibt, die in der veröffentlichten Stellenausschreibung enthalten waren. Dies zeigt deutlich, wie wichtig die genaue Formulierung des Anforderungsprofils in der Stellenausschreibung ist, denn Arbeitgeber müssen behinderte Bewerber, die dem verlangten Anforderungsprofil nicht entsprechen, auch nicht einladen. 

Obwohl die Entscheidung einen öffentlichen Arbeitgeber betrifft, ist sie auch für private Arbeitgeber von Interesse, da auch letzterer bei der Bewerbung Behinderter bestimmte Verfahrensvorschriften einzuhalten hat und Verstöße gegen diese Regelungen bereits ein (entschädigungsfähiges) Indiz für eine Benachteiligung darstellen können.

2. Diskriminierung bei der Stellenbesetzung aufgrund vermuteter Behinderung

- BAG, Urteil vom 17.12.2009 -

Nach § 7 Abs. 1 Halbsatz 2 AGG ist die Benachteiligung eines Beschäftigten auch dann untersagt, wenn der Benachteiligende ein Diskriminierungsmerkmal auch nur annimmt. Fragen in einem Bewerbungsgespräch nach bestimmten Erkrankungen oder Leiden können daher - je nach den Umständen des Einzelfalls - auch auf eine Erkundigung nach einer Behinderung schließen lassen.

Die Entscheidung

In dem zugrunde liegenden Fall hatte sich der Kläger erfolglos auf eine Stellenausschreibung des Beklagten beworben. Während des Bewerbungsgesprächs wurde er u. a. auch gefragt, ob er psychiatrisch oder psychotherapeutisch behandelt werde und aufgefordert zu unterschreiben, dass dem nicht so sei. Zudem äußerte der Beklagte, dass verschiedene Anzeichen beim Kläger für eine chronisch verlaufende entzündlich-rheumatische Erkrankung sprechen würden. Mit seiner Klage machte der Bewerber eine Benachteiligung wegen Behinderung geltend und begehrte von dem Unternehmen eine (gesetzliche) Entschädigungszahlung. 

Das BAG hat eine Diskriminierung des Klägers bei der Stellenbesetzung bejaht. Die Vermutung der Benachteiligung könne nicht mit der Begründung widerlegt werden, dass der Beklagte mit seinen Fragen und Äußerungen nur auf das Vorliegen einer "Krankheit" und nicht einer "Behinderung" gezielt habe. Vielmehr ließen die konkreten Fragen und die Umstände darauf schließen, dass der Beklagte eine Erkundigung nach einer etwaigen Behinderung beabsichtigte. Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 2 AGG sei somit gegeben.

Fazit

Mit der Entscheidung hat das BAG klar gestellt, dass die in einem Bewerbungsgespräch gestellten Fragen nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf die Erkundigung einer Behinderung schließen lassen können. Spätestens seit dem Inkrafttreten des AGG ist daher zu berücksichtigen, dass auch Fragen nach konkreten Erkrankungen diskriminierungsrelevant sein können, denn auch chronische Erkrankungen können dem - weit zu verstehenden - Begriff der "Behinderung" unterfallen. 

Praktisch relevant werden die Rechtsfolgen einer Verletzung des AGG bei der Nichteinstellung eines Bewerbers. Erhält der chronisch kranke Bewerber nach einer diskriminierungsrelevanten Nachfrage im Bewerbungsgespräch eine Absage, kann dies für die Darlegung einer Benachteiligung nach dem AGG bereits genügen. Dann muss der Arbeitgeber beweisen, dass die Absage auf andere Gründe zurückzuführen ist, was regelmäßig schwierig ist. Zwar sieht das AGG keinen Einstellungsanspruch, wohl aber einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers vor. Die Besonderheit hierbei ist, dass der Bewerber auch dann einen Schadensersatzanspruch geltend machen kann, wenn er selbst bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Um diesen Risiken aus dem Weg zu gehen, sollten Arbeitgeber daher in Bewerbungsgesprächen jegliche Fragen nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die für die Ausübung der Tätigkeit nicht von Bedeutung sind, vermeiden. Gleiches gilt dabei für Einstellungsuntersuchungen, insbesondere für Bluttests.

Redaktion

Redaktion: Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht Glenn Dammann und Rechtsanwältin Stephanie Musiol, LL.M.

Herausgeber: Bethge.Reimann.Stari Rechtsanwälte, Berlin 

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