AKTUELLE RECHTSPRECHUNG ZUM KÜNDIGUNGSRECHT

ARBEITSRECHT Nr. 5
12.07.2010 | Glenn Dammann, Boris Gregorius

I. "Fall Emmely" - fristlose Kündigung

- BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 -

Das Bundesarbeitsgericht hat erneut entschieden, dass vorsätzliche Verstöße des Arbeitnehmers gegen Vertragspflichten eine fristlose Kündigung auch dann recht-fertigen, wenn der damit einhergehende wirtschaftliche Schaden gering ist. Umgekehrt ist aber nicht jede gegen die Vermögensinteressen des Arbeitgebers gerichte-te Vertragspflichtverletzung ohne Weiteres auch ein (fristloser) Kündigungsgrund.

Der Fall der Berliner Kassiererin "Emmely" hat dabei für viel Furore gesorgt. Insbesondere wurde die Berechtigung von fristlosen Kündigungen bei Vermögensdelikten im Bagatellbereich in der Öffentlichkeit besonders thematisiert.

Die Entscheidung

Eine Kassiererin (Emmely), die in einem Einzelhandelsgeschäft (Kaiser’s) arbeitete, löste ihr nicht gehörende Pfandbons im Wert von insgesamt 1,30 EUR zum eigenen Vorteil ein. Bereits seit April 1977 war sie im dortigen Geschäft als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Nachdem in ihrer Filiale zwei Leergutbons im Wert von 48 und 82 ct aufgefunden wurden, übergab der Filialleiter ihr diese zur Aufbewahrung im Kassenbüro. Nach den Feststellungen der Gerichte reichte "Emmely" zehn Tage später gleichwohl beide Pfandbons bei einem privaten Einkauf ein. Daraufhin kündigte die Beklagte (Kaiser’s) das Arbeitsverhältnis ungeachtet des Widerspruchs des Betriebsrats wegen dringenden Tatverdachts fristlos, hilfsweise fristgemäß.

Erst in letzter Instanz gab das Bundesarbeitsgericht (BAG) der Klägerin Recht und stellte fest, dass die Kündigung - im Gegensatz zur Ansicht der Vorinstanzen - unwirksam sei. Auch das BAG sah dabei in der Entwendung der Pfandbons einen schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Pflichtverstoß, der den Kernbereich der Arbeitsaufgaben einer Kassiererin betrifft. Trotz des geringen Wertes der Pfandbons sei das Vertrauensverhältnis zwischen der Kassiererin und der Beklagten (Kaiser’s) objektiv erheblich belastet. Als Einzelhandelsunternehmen sei die Beklagte auch besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommener geringfügiger Schädigungen zu erleiden.

Gleichwohl kam das oberste deutsche Arbeitsgericht "unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile" zu dem Ergebnis, dass die Arbeitnehmerin durch drei Jahrzehnte ihrer Betriebszugehörigkeit ohne rechtlich relevante Störungen bereits ein hohes Maß an Vertrauen erdient habe. Dieses (langjährig erarbeitete) Vertrauen konnte durch den einmaligen Kündigungssachverhalt noch nicht vollständig zerstört werden. Insbesondere musste - so das Gericht - im Rahmen dieser gebotenen Interessenabwägung die vergleichsweise geringfügige wirtschaftliche Schädigung einbezogen werden.

Folglich war hier bereits der Ausspruch einer Abmahnung zureichend, um künftig wieder einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu bewirken.

Fazit

Grundsätzlich bleibt es weiterhin dabei, dass ein vorsätzliches Vermögensdelikt stets dazu geeignet ist, einem Arbeitnehmer fristlos zu kündigen.

Jedoch mahnt das Bundesarbeitsgericht an, dass auch insoweit nicht jede Pflichtverletzung ohne Weiteres zur Kündigung berechtigt. Ob ein dies rechtfertigender "wichtiger Grund" vorliegt, muss vielmehr nach dem Gesetz unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile beurteilt werden. Die Arbeitsgerichte sind also künftig mehr als zuvor angehalten, bei Vermögensdelikten im Bagatellbereich eine ausführliche Interessenabwägung vorzunehmen. Insbesondere kann eine lange Betriebszugehörigkeit ein Überwiegen des Arbeitnehmerinteresses auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bewirken. Es bleibt nun abzuwarten, wie sich die Arbeitsgerichte aufgrund dieses Urteils in der Zukunft verhalten. Einen Freifahrtschein für Vermögensdelikte bedeutet das Urteil des Bundesarbeitsgerichts indes keineswegs.

II. Verzicht auf Kündigungsrecht durch Abmahnung

- BAG, Urteil vom 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 -

Das Bundesarbeitsgericht hat neuerlich zu den rechtlichen Auswirkungen des Ausspruchs einer Abmahnung Stellung bezogen.

Grundsätzlich verzichtet der Arbeitgeber durch den Ausspruch einer Abmahnung auf eine (ggf. mögliche) Kündigung, die auf arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen beruht und vor dem Ausspruch der Abmahnung erfolgten.

Die Entscheidung

Im zugrunde liegenden Fall erhob ein Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage gegen eine außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung. Der Kläger war lang-jährig als Barkeeper im Hotel des Arbeitgebers (Beklagter) tätig. Mitte Dezember mahnte ihn der Arbeitgeber zunächst mündlich ab. Kurze Zeit später sprach der Arbeitgeber wegen der Nichtbefolgung einer Anweisung und rufschädigender Äußerungen gegenüber dem Geschäftsführer eine weitere Abmahnung aus. Ab dem Fol-getag meldete sich der Arbeitnehmer arbeitsunfähig, woraufhin ihm Tags darauf gekündigt wurde. Begründet wurde die Kündigung mit geschäftsschädigendem Ver-halten gegenüber Mitarbeitern und Gästen und einer Missachtung des betrieblichen Alkoholverbots. Der Arbeitgeber erstattete Strafanzeige gegen seinen Mitarbeiter. Das Ermittlungsverfahren wurde nach Zeugenvernehmung eingestellt.

Der Arbeitgeber trug vor, dass die vorangegangene Abmahnung nicht schon zum Kündigungsverzicht geführt habe, weil die der Kündigung hier zu Grunde liegenden Umstände erst am Tag nach Ausspruch der Abmahnung bekannt geworden seien.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht gaben der Klage zunächst statt. Erst das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Revision des Arbeitgebers begründet sei.

Eine schwere, schuldhafte Vertragsverletzung kann regelmäßig eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Der erforderliche "wichtige Grund" für die Kün-digung kann dabei auch in der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten (wie z. B. abfällige Bemerkung über Arbeitgeber) liegen. Jedoch setzt eine Kündigung wegen Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine einschlägige Abmahnung voraus. Spricht der Arbeitgeber eine solche Abmahnung aus, so erklärt er damit zugleich einen Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mithin zu erkennen, dass er das Arbeitsverhältnis noch nicht als so ge-stört ansieht, als dass er es nicht mehr fortsetzen könnte.

Treten jedoch weitere Gründe zu den bereits abgemahnten hinzu oder werden sie - wie im vorliegenden Fall - erst nach dem Ausspruch der Abmahnung bekannt, sind diese vom (vorherigen) Kündigungsverzicht des Arbeitgebers nicht erfasst. Folglich kann der Arbeitgeber Pflichtverletzungen, die ihm erst später bekannt werden zu-lässig noch als Kündigungsgrund heranziehen, auch wenn diese Pflichtverletzungen ggf. bereits vor dem Ausspruch der Abmahnung lag.

Fazit

Erklärt ein Arbeitgeber eine Abmahnung gegenüber einem Arbeitnehmer, so gibt er dadurch zu erkennen, dass er an dem Arbeitsverhältnis weiterhin festhalten will. Alle - bekannten - arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen, die bis zum Ausspruch der Abmahnung erfolgten, können somit nicht mehr als Kündigungsgrund herange-zogen werden. Eine Ausnahme hiervon besteht nur, wenn der Arbeitgeber von den Pflichtverletzungen erstmals zeitlich nach Ausspruch der Abmahnung Kenntnis er-hält, auch wenn diese bereits vor Ausspruch der Abmahnung erfolgten.

Diese Aspekte werden in der Praxis häufig missachtet.

III. Verweigerung eines Personalgespräch

- BAG, Urteil vom 23. Juni 2009 - 2 AZR 606/08 -

Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass ein Arbeitnehmer nicht an jedem Personalgespräch teilnehmen muss. Die Entscheidung besagt jedoch nicht, dass ein Arbeitnehmer überhaupt nicht mehr an einem Personalgespräch teilnehmen muss, so wie es teilweise in der Öffentlichkeit dargestellt wird.

Die Entscheidung

Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten strebte ein Arbeitgeber die Verminderung des 13. Gehaltes seiner Mitarbeiter an, was diese indes ablehnten. Daraufhin lud der Arbeitgeber die Klägerin zu einem Einzelgespräch. Ziel des Gesprächs war es, die Klägerin zur Vertragsänderung zu bewegen. Die Klägerin erschien im Büro des Personalleiters und erklärte, dass sie nur zu einem gemeinsamen Gespräch unter Einbeziehung aller übrigen Mitarbeiter bereit sei. Der Arbeitgeber lehnte dies ab.

Der Arbeitgeber mahnte die Klägerin wegen arbeitsvertraglicher Pflichtverletzung durch die Nichtteilnahme am Personalgespräch ab. Hierauf erhob die Klägerin Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Das Arbeitsgericht und die Berufungsinstanz gaben der Klägerin Recht.

Ebenso bestätigte auch das Bundesarbeitsgericht den Anspruch auf Herausnahme der Abmahnung aus der Personalakte. Eine Abmahnung war unrechtmäßig, weil die Klägerin nicht gegen arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat.

Zwar kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach "billigem Ermessen" näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht bereits durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag oder Gesetzt festgelegt sind; außerdem können Weisungen zur Ordnung und dem Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb erfolgen. Geht es aber um die Änderung arbeitsvertraglicher Bedingungen - wie z. B. um die Absenkung der Vergütung - steht dem Arbeitgeber kein ein-seitiges Weisungsrecht gegenüber dem Mitarbeiter zu. Folglich bestand auch keine Pflicht zur Teilnahme am Personalgespräch.

Fazit

Durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist klar geworden, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeiter nicht zu jedweder Teilnahme an Personalgesprächen auf-grund Weisungsrechts (§ 106 GewO) verpflichten können. Der Arbeitnehmer hat zu einem Personalgespräch nur zu erscheinen, wenn der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung einseitig bestimmen kann. Aus der (beidseitigen) Vertragsfreiheit folgt das Recht, vertragliche Änderungen - und daher auch Verhandlungen darüber - abzulehnen.

Redaktion

Redaktion: Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht Glenn Dammann und Rechtsanwalt Boris Gregorius

Herausgeber: Bethge.Reimann.Stari Rechtsanwälte, Berlin 

Sekretariat: Susanne Rothe, Tel: 030 - 890492-11, Fax: 030 - 890492-10

Recht aktuell wird nach sorgfältig ausgewählten Unterlagen erstellt. Diese Veröffentlichung verfolgt ausschließlich den Zweck, bestimmte Themen anzusprechen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Für die Anwendung im konkreten Fall kann eine Haftung nicht übernommen werden. Sollten Sie weitere Fragen zu den angesprochenen Themen haben, so wenden Sie sich bitte an unsere Ansprechpartner. Der Nachdruck - auch auszugsweise - ist nur mit Quellenangabe gestattet.

Wenn Sie die Publikation nicht mehr erhalten wollen, teilen Sie uns dies bitte per E-Mail mit.



# Tags: Glenn Dammann, Arbeitsrecht, Recht Aktuell