BGH entscheidet: Konzessionsverträge sind nichtig, wenn das Ausschreibungsverfahren der Kommune fehlerhaft war!
Der BGH hat am 17. Dezember 2013 in zwei Revisionsverfahren (KZR 65/12 und KZR 66/12) letztinstanzlich einen Anspruch der Neukonzessionäre nach § 46 Abs. 2 EnWG auf Herausgabe der Netze der allgemeinen Versorgung abgelehnt, da Verstöße der Gemeinde gegen § 46 Abs. 3 EnWG und § 20 GWB gem. § 134 zur Nichtigkeit des vergebenen Konzessionsvertrages führen.
Sachverhalte
- Die Stadt Heiligenhafen hatte zunächst ein Ausschreibungsverfahren zur Konzessionsvergabe begonnen, dann aber entschieden den Netzbetrieb als Eigenbetrieb durchführen zu wollen. Dazu berief sich die Stadt auf das im europäischen Recht geltende In-house-Privileg. Der Eigenbetrieb führte Verhandlungen mit dem bisherigen Netzbetreiber über die Netzübernahme. Die Verhandlungen scheiterten, da sich die Parteien nicht über den Kaufpreis und den Umfang der zu übertragenden Anlagen verständigen konnten. Die Stadt Heiligenhafen erhob Klage auf Herausgabe der Netze. Erstmals in diesem Rechtsstreit berief sich dann der bisherigen Netzbetreiber darauf, dass die Neukonzessionierung des Eigenbetriebs unwirksam sei. Das Landgericht Kiel (Az. 14 O Kart. 83/10) und auch das OLG Schleswig (Az. 16 U (Kart) 22/12) hatten die Klage der Stadt Heiligenhafen abgewiesen. Hiergegen richtete sich die Revision der Stadt.
- 36 Gemeinden der Ämter Sandesleben-Nusse und Berkenthin hatten mit der Klägerin einen neuen Konzessionsvertrag abgeschlossen. Die Klägerin ist die Tochtergesellschaft dreier ausschreibender Gemeinden. Die Auswahlkriterien waren im Ausschreibungsverfahren allen Bietern mitgeteilt worden. Die genauen Auswahlkriterien sind uns jedoch nicht bekannt. Weder während noch nach Abschluss des Ausschreibungsverfahrens hatte der Altkonzessionär das Ausschreibungsverfahren der Kommunen beanstandet. Der Neukonzessionär verhandelte mit dem Altkonzessionär über die Netzübernahme. Wegen eines Streits über die herauszugebenden Netzdaten, erhob der Neukonzessionär Klage vor dem Landgericht Kiel. Das Landgericht Kiel (Az. 14 O 12/11) und das OLG Schleswig (Az. 16 U (Kart.) 21/22) haben die vom Neukonzessionär zunächst erhobene Klage auf Herausgabe von Netzdaten abgelehnt. Dagegen richtete sich die Revision des Neukonzessionärs.
Es ist ersichtlich, dass es zwei unterschiedliche Ausgangslagen gab, die vom BGH zu entscheiden waren. Beiden Verfahren ist aber gemein, dass der Altkonzessionär während und nach Abschluss des Ausschreibungsverfahrens nicht auf die Fehlerhaftigkeit der Ausschreibungsverfahren gerügt hatte, sondern sogar in Verhandlungen mit dem Neukonzessionär eingetreten war.
Entscheidung des BGH
Der BGH hat beide Revisionen zurückgewiesen und dabei zu mehreren in der Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Rechtsfragen Stellung genommen. Da die Entscheidungsgründe noch nicht vorliegen, lassen sich derzeit aus der Presseerklärung des BGH bislang aus unserer Sicht folgende grundsätzliche Überlegungen ableiten:
- Werden keine Auswahlkriterien mitgeteilt, liegt ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vor. Dies alleine führt gem. § 134 BGB zur Nichtigkeit des abgeschlossenen Konzessionsvertrages.
- Es gilt kein sog. Konzernprivileg im Hinblick auf die Einhaltung der Vorgaben des § 20 Abs. 1 GWB (Diskriminierungsfreiheit). D.h. kartellrechtliche Vorgaben sind auch im Verhältnis Kommune und Eigenbetrieb oder Eigengesellschaft zu beachten.
- In-house-Geschäft ist unzulässig.
- Kriterien und Gewichtung müssen diskriminierungsfrei sein.
- Die Auswahl ist vorrangig an § 1 EnWG auszurichten, aber der Kommune bleibt es überlassen, sachgerechte Auswahlkriterien zu finden und zu gewichten. Diese Auswahlkriterien müssen aber einen Bezug zum Konzessionsvertrag aufweisen.
- Auswahlkriterien außerhalb der Ziele des § 1 EnWG wie höchstzulässige Konzessionsabgaben, Kommunalrabatt oder Folgekostenregelung sind zusätzlich zulässig.
- Sonstige Interessen der Kommune können berücksichtigt werden. Eine Gewichtung sonstiger Interessen mit 70 zu 170 Punkten ist aber unzulässig.
- Einwendungen gegen das Ausschreibungsverfahren von Kommunen wegen Verstößen gegen § 46 Abs. 2 EnWG und § 20 Abs. 1 EnWG können gegen den Übertragungsanspruch geltend gemacht werden. Einen Rügeausschluss lehnt der BGH somit ab.
- Die Einwendungen - Nichtigkeit des Konzessionsvertrages wegen Verfahrensverstößen - können gleichermaßen gegen Herausgabeansprüche aus § 46 Abs. 2 EnWG und aus abgetretenem Recht geltend gemacht werden.
Bewertung der Entscheidung
Positiv ist, dass der BGH erstmalig zur Frage der Auswahlkriterien näher Stellung nimmt und auch klarstellt, dass neben § 1 EnWG weitere eigene Auswahlkriterien der Gemeinden berücksichtigt werden dürfen. Insoweit hat der BGH auch die sehr weitreichende Rechtsauffassung des OLG Schleswig korrigiert, welches ausschließlich die Ziele des § 1 EnWG gelten lassen wollte. Es bleibt abzuwarten, ob sich hierzu aus der Urteilbegründung noch weitere Erkenntnisse ableiten lassen, die zu mehr Rechtssicherheit in den Ausschreibungsverfahren führen werden.
Negativ zu bewerten ist, dass der BGH den Rügeausschluss abgelehnt hat. Auch hier wird interessant sein, wie absolut diese Aussage gelten soll und ob jeder Verfahrensfehler zur Nichtigkeit des Konzessionsvertrages führen muss. Wir lesen die Pressemeldung so, dass im vorliegenden Fall eine Nichtigkeit deshalb anzunehmen war, da sich die Verstöße auf die Bieterreihenfolge ausgewirkt haben. Sollten Verfahrensverstöße vorliegen, die nichts an der Bieterreihenfolge ändern würden, wenn sie denn behoben würden, halten wir es nicht für ausgeschlossen, dass der BGH dies anders bewerten könnte.
Für Neukonzessionäre hat die Entscheidung folgende Auswirkungen:
Als Folge der Entscheidung wird es nach unserer Einschätzung nun noch mehr als bisher dazu kommen, dass Altkonzessionäre Verfahrensverstöße erstmalig in den Netzübernahmeverhandlungen rügen und eine Netzherausgabe verweigern. Diese Gefahr hat in der mündlichen Verhandlung auch das Bundeskartellamt gesehen und sich deshalb - wenn auch vergeblich - für einen Rügeausschluss ausgesprochen.
Für Kommunen bedeutet diese Entscheidung mehr noch als früher, dass sie eine besondere Sorgfalt auf die Gestaltung des Verfahrens verwenden müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass Neukonzessionäre, denen einen Netzübertragung mit Hinweis auf Verfahrensfehler der Kommune verweigert wird, Schadensersatz gegenüber der Kommune geltend machen können. Zudem bringt eine verzögerte Netzübernahme immer auch die Gefahr mit sich, dass der Nachlaufzeitraum für die Zahlung der Konzessionsabgabe abläuft. Deshalb sollten Kommunen spätestens 2 Jahre vor Auslaufen des Konzessionsvertrages mit dem Verfahren beginnen. Besser wäre sogar ein noch früherer Start.
Gern stehen wir Ihnen bei der Ausgestaltung von oder Begleitung in Ausschreibungsverfahren mit fachlichem Rat zur Seite.
Redaktion:
Rechtsanwältin Wibke Reimann
BEHTGE.REIMANN.STAR Rechtsanwälte, Berlin
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