Die Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag einer GmbH & Co. KG - Abkehr vom Bestimmtheitsgrundsatz

GESELLSCHAFTSRECHT Nr. 6
15.06.2015 | 

Einleitung

Mehrheitsklauseln in Gesellschaftsverträgen sind ganz allgemein von besonderer Bedeutung, sollen sie doch regeln, mit welchen Mehrheiten die Gesellschafter welche Fragen verbindlich für alle Gesellschafter - auch für diejenigen, die gegen einen Beschlussvorschlag gestimmt haben - entscheiden können. Oft sind Mehrheitsklauseln jedoch recht allgemein formuliert. Mitunter wird lediglich festgehalten, dass grundsätzlich Entscheidungen mit einfacher Mehrheit getroffen werden können, soweit nicht das Gesetz oder der Gesellschaftsvertrag selbst eine andere Mehrheit ausdrücklich vorsieht. Derartige Klauseln werfen die Frage auf, wie weit sich deren Anwendungsbereich erstreckt. Dies kann im Einzelfall, insbesondere dann, wenn durch einen Beschluss die Belange der Gesellschafter berührt werden, von entscheidender Bedeutung sein. Dies wiederum ist oftmals gerade bei Publikumsgesellschaften der Fall, die vielfach in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG organisiert sind.

1. Frühere Rechtsprechung

Schon seit dem Reichsgericht entsprach es ständiger Rechtsprechung, dass Mehrheitsklauseln in Gesellschaftsverträgen einer GmbH & Co. KG unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgrundsatzes einschränkend dahingehend auszulegen waren, dass nur solche Entscheidungen von der Klausel umfasst sein sollten, die die Klausel hinreichend konkret bezeichnete. Es war anerkannt, dass dies durchaus im Wege der Auslegung ermittelt werden konnte. In der Regel war eine Mehrheitsklausel auf gewöhnliche Beschlussgegenstände beschränkt. Als nicht gewöhnlich wurden insbesondere Änderungen des Gesellschaftsvertrages und Grundlagenentscheidungen, mit denen in wesentliche Rechte der Gesellschafter eingegriffen wurde, angesehen.

Bei Publikumsgesellschaften wurde der Bestimmtheitsgrundsatz schon früher weiter ausgelegt. Außergewöhnlich   und damit nicht von einer einfachen Mehrheitsklausel umfasst   waren nur die Beschlussgegenstände, die in den Kernbereich der Gesellschafterrechte eingriffen.

2. Schrittweise Abkehr vom Bestimmtheitsgrundsatz

Bereits in den vergangenen Jahren war zu beobachten, dass der Bundesgerichtshof schrittweise eine Abkehr von diesem strengen Bestimmtheitsgrundsatz auch bei "einfachen", personalistisch strukturierten Personengesellschaften vollzog.

  • Mit Urteil vom 15. Januar 2007 hat der Bundesgerichtshof (Az: II ZR 245/05 - OTTO-Entscheidung) zwar grundsätzlich bestätigt, dass eine Vermehrung der Lasten der Gesellschafter i. S. d. § 707 BGB einer eindeutigen Legitimationsgrundlage im Gesellschaftsvertrag bedarf, jedoch hat er in dieser Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben, dass es verfehlt sei zu fordern, eine Mehrheitsklausel müsse Beschlussgegenstände minutiös auflisten. Der Bestimmtheitsgrundsatz dürfe nicht zu einer "Förmelei" denaturieren. Der Bestimmtheitsgrundsatz sei vielmehr lediglich eine "Eingangsvoraussetzung" für die Gültigkeit einer Mehrheitsklausel. Nur mit dieser einschränkenden Maßgabe sei an dem Bestimmtheitsgrundsatz als Instrument des Minderheitenschutzes neben der Kernbereichslehre festzuhalten. Nach dieser ersten Prüfung der Eingangsvoraussetzung für die Gültigkeit einer Mehrheitsklausel sei auf einer zweiten Stufe eine inhaltliche Wirksamkeitsprüfung erforderlich. Zu prüfen sei, ob trotz der grundsätzlichen Zulassung der betreffenden Mehrheitsentscheidung im Gesellschaftsvertrag in Form des im Einzelfall zu überprüfenden Beschlusses ein unzulässiger Eingriff in unverzichtbare bzw. unentziehbare Gesellschafterrechte vorliege. Es sei die Frage zu stellen, ob sich die Mehrheit in treuwidriger Weise über beachtenswerte Belange der Minderheit hinweg gesetzt habe.
  • Diese Entscheidung wurde bestätigt durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. November 2008 (Az: II ZR 116/08 - Schutzgemeinschaftsvertrag II). Der Bundesgerichtshof hat die von ihm nunmehr für erforderlich gehaltene stufenweise Prüfung einer Mehrheitsklausel noch einmal verfeinert. In einer ersten Stufe sei die Frage der formellen Legitimation der Mehrheitsentscheidung auf Grundlage einer Mehrheitsklausel zu klären. Hierbei handele es sich lediglich um eine wertneutrale Verfahrensregel. Auf der zweiten Stufe habe nunmehr eine inhaltliche Prüfung der materiellen Legitimation unter dem Aspekt einer etwaigen Verletzung der gesellschafterlichen Treuepflicht der Mehrheit gegenüber der Minderheit zu erfolgen. Der Bundesgerichtshof hebt hervor, dass diese Prüfungsreihenfolge für alle Beschlussgegenstände gelte, auch für Grundlagengeschäfte oder Maßnahmen, die in den Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte eingreifen. Ein Verstoß erst auf der zweiten Stufe lasse die Wirksamkeit der Mehrheitsklausel unberührt. Die formelle Reichweite der Mehrheitsklausel werde durch den Bestimmtheitsgrundsatz nicht beschränkt. Dies bedeutet, dass die formelle Legitimation der Mehrheit grundsätzlich bestehen bleibt, materiell-rechtlich jedoch kann ein Verstoß gegen die gesellschafterliche Treuepflicht die absolute oder relative Unwirksamkeit der Entscheidung zur Folge haben.
  • Angewandt hat der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechungsgrundsätze insbesondere auch in seinem Urteil vom 19. Oktober 2009 (Az: II ZR 240/08 - Sanieren oder Ausscheiden), mit welchem er feststellte, dass der Beschluss über die Einforderung von Gesellschafterbeiträgen zur wirtschaftlichen Sanierung der Gesellschaft oder alternativ den Ausschluss von Gesellschaftern, die nicht bereit oder in der Lage sind, einen solchen Beitrag zu erbringen, von einer Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag abgedeckt sei und inhaltlich durch einen solchen Beschluss auch die Belange der betrofenen Gesellschafter nicht in unzulässiger, treuwidriger Weise verletzt würden (vgl. hierzu auch unser Recht Aktuell Immobilienrecht Nr. 9 vom 22. Januar 2010).

3. Aktueller Stand der Rechtsprechung

In seinem Urteil vom 21. Oktober 2014 (Az: II ZR 84/13) hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinanderzusetzen, inwieweit ein Beschluss über die Zustimmung zur Übertragung von Gesellschaftsanteilen innerhalb einer GmbH & Co. KG von einer einfachen Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag gedeckt war. Der Bundesgerichtshof hat diese Entscheidung zum Anlass genommen, die diesbezügliche Entwicklung in der Rechtsprechung noch einmal zusammenzufassen und zu bestätigen. Er bestätigt insbesondere ausdrücklich die Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes seitens der Rechtsprechung mit der Folge, dass grundsätzlich auch einfache Mehrheitsklauseln in Gesellschaftsverträgen weit auszulegen sind.

Die Auslegung des Gesellschaftsvertrags erfolgt danach nach allgemeinen Grundsätzen. Der Bestimmtheitsgrundsatz selbst ist jedoch keine Auslegungsregelung, die zur restriktiven Auslegung führen würde. Auch ist im Wege der Auslegung nicht geboten, außerordentliche Beschlussgegenstände von vornherein von Mehrheitsklauseln auszunehmen. Die Auslegung unterliegt der tatrichterlichen Würdigung des festgestellten Sachverhalts. Bei der Auslegung ist grundsätzlich der subjektive Wille der Gesellschafter zu erforschen; bei Publikumsgesellschaften ist der Wille aus der objektiven Sicht eines verständigen Anlegers zu ermitteln (vgl. schon BGH Urteil vom 15. November 2011, Az: II ZR 266/09). Bei der Auslegung des Gesellschaftsvertrages ist insbesondere ein etwaiger Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte zu berücksichtigen, aus welchem sich im Gesamtzusammenhang ergeben kann, welche Art von Geschäften generell einer im Übrigen allgemein gefassten Mehrheitsklausel unterliegen soll.

Auch in dieser Entscheidung betont der Bundesgerichtshof nochmals, dass diese Auslegungsregelungen gleichermaßen für alle Beschlussgegenstände gelten, auch für solche, die den Kernbereich der Gesellschafterrechte betreffen oder eine Grundlagenentscheidung darstellen. Bei derart weiter Auslegung der Gesellschaftsverträge wird man nunmehr oftmals auf der ersten Stufe zum Ergebnis kommen, dass ein Beschluss formell wirksam mit der in der Mehrheitsklausel vorgesehenen Mehrheit gefasst werden konnte. Die materielle Wirksamkeit des Vertrages gegenüber den Gesellschaftern bzw. einzelnen Gesellschaftern ist eine andere Frage.

Der Bundesgerichtshof hebt hervor, dass dies im Einklang mit seiner früheren Rechtsprechung zu Nachschussklauseln gilt (vgl. hierzu auch unser Recht Aktuell Immobilienrecht Nr. 2 vom 01. November 2007). Die formelle Legitimation der Mehrheit, entsprechende Beschlüsse zu fassen, wurde vom Bundesgerichtshof auch in diesen Entscheidungen nicht in Abrede gestellt. Materielle Wirksamkeit gegenüber allen Gesellschaftern erlangten solche Nachschussbeschlüsse jedoch nur dann, wenn im Gesellschaftsvertrag Art und Umfang einer möglichen Beitragserhöhung hinreichend bestimmt geregelt war und somit sämtliche Gesellschafter mit dem Gesellschaftsvertrag die Zustimmung erteilt hatten. Fehlte es an einer solchen Zustimmung im Gesellschaftsvertrag, beschränkte sich die materielle Wirksamkeit der Nachschussklausel nur auf die zustimmenden Gesellschafter.

4. Fazit

Dem Bestimmtheitsgrundsatz kommt somit für die Frage der formellen Legitimation einer Mehrheitsentscheidung keinerlei Bedeutung mehr zu. Erst auf der zweiten Ebene ist materiell-rechtlich zu prüfen, ob durch den zulässiger Weise von der Mehrheit gefassten Beschluss in Gesellschafterrechte eingegriffen wird, ob der Eingriff geboten ist und ob der Eingriff dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung eigener schutzwerter Belange zumutbar ist. Aus Sicht des betroffenen Gesellschafters ist die Frage aufzuwerfen, ob sich die Mehrheit treuwidrig über berechtigte Interessen der Minderheit hinweg setzt und in unzulässiger Weise in deren Rechte eingreift.

Diese Rechtsprechung eröffnet der Mehrheit der Gesellschafter flexiblere Möglichkeiten, im Interesse der Gesellschaft erforderliche Entscheidungen mehrheitlich durchzusetzen. Das bedeutet allerdings nicht, dass damit der notwendige Minderheitenschutz ausgehöhlt würde. Im Gegenteil: Die Mehrheit hat vor entsprechender Beschlussfassung - um diese möglichst unangreifbar zu machen - sorgfältig auch die Belange der Minderheit zu berücksichtigen und abzuwägen, welches der schonendste Weg ist, einerseits im Interesse der Gesellschaft und der Mehrheit der Gesellschafter notwendige Entscheidungen zu treffen und umzusetzen und dabei andererseits jedoch den Eingriff in die Rechte der Minderheitsgesellschafter möglichst auf das erforderliche Maß zu beschränken.

 

Redaktion:

Rechtsanwalt Dr. Christian Stari

BEHTGE.REIMANN.STAR Rechtsanwälte, Berlin

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