DIE ELEKTRONISCHE ARBEITSBESCHEINUNG (eAU) AB DEM 01.01.2023
Kurzinfo zum Arbeitsrecht Nr. 17 / 13. Dezember 2022
- Worum geht es?
Nach dem Entwurf des 3. Bürokratieentlastungsgesetzes soll die Digitalisierung zum 01.01.2023 auf die bisher in Papierform ausgestellten „gelben Scheine“ ausgeweitet werden. Mit der dafür geplanten Änderung des § 5 EFZG wird die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingeführt. Ziel ist bestehende „Papierprozesse“ sukzessive zu minimieren und durch digitale Alternativen zu ersetzen (vgl. ARP 2022, 130). Die Änderungen haben jedoch nicht nur Einfluss auf das Sozialversicherungsrecht, sondern auch auf das Arbeitsrecht. Insofern sind sowohl die bestehenden vertraglichen, als auch kollektivrechtlichen Vereinbarungen zu diesem Thema entsprechend der neuen gesetzlichen Vorgaben hin zu überprüfen und ggf. anzupassen. - Wie funktioniert die neue elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?
Schritt 1:
Die bisher geltende Nachweispflicht des Arbeitnehmers (Vorlage AU ab dem vierten Tag der Erkrankung) nach § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG a. F. wird durch die neue Feststellungspflicht des § 5 Abs. 1a EFZG neue Fassung abgelöst. Folglich muss der erkrankte Arbeitnehmer nach dem neuen System zunächst die Arbeitsunfähigkeit durch den Arzt/ die Ärztin feststellen lassen.
Schritt 2:
Der/ die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt/ die Ärztin übermittelt dann gem. § 295 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V die Arbeitsunfähigkeitsdaten elektronisch an die jeweilige Krankenkasse.
Schritt 3:
Die Krankenkasse ist sodann nach § 109 SGB IV n. F. verpflichtet eine die Arbeitsunfähigkeitsdaten enthaltene Meldung für die Arbeitgeber zu erzeugen. Gem. § 109 Abs. 3a SGB IV und § 109 Abs. 3b SGB IV gilt dies ebenso für stationäre Krankenhausaufenthalte und Arbeitsunfälle bzw. Berufskrankheiten.
Schritt 4:
Bevor der Arbeitgeber Zugriff auf diese Daten erhält, muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitsunfähigkeit sowie die voraussichtliche Dauer mitteilen.
Schritt 5:
Nachdem der Arbeitgeber nun von der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers erfahren hat, kann er die Arbeitsunfähigkeitsdaten bei der jeweils zuständigen Krankenkasse über das Abrechnungsprogramm anfragen. Gem. §96 SGB IV sind die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet, einen eigens dazu vorgesehenen Kommunikationsserver zu betreiben. Ist ein Steuerberater mit der Lohnbuchhaltung beauftragt, muss dieser über die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers informiert werden und die AU-Daten bei der Krankenkasse anfragen und dem Arbeitgeber die so gewonnenen Informationen zur Arbeitsunfähigkeit mitteilen. Alternativ könnte der Arbeitgeber auch die Ausfüllhilfe sv.net verwenden. Entscheidend ist nur, dass am Ende sowohl der Arbeitgeber als auch ein ggf. beauftragter Steuerberater über die notwendigen Informationen verfügen.
Voraussetzung für die Abfrage selbst ist:
- ein für den betroffenen Zeitraum bestehendes Arbeitsverhältnis
- die Mitteilung des Arbeitnehmers über die Arbeitsunfähigkeit
- deren voraussichtliche Dauer vgl. § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG
- die Betriebsnummer, Absendernummer, Versicherungsnummer
- die Angabe des Namens, Geburtsdatums und Geschlechts des Arbeitnehmers.
Bei dem gesamten Prozess der Meldung handelt es sich um eine gesicherte und verschlüsselte Datenübertragung. Nach der Anforderung des Arbeitgebers erfolgt die Prüfung der Krankenkasse, ob diese für den Arbeitnehmer zuständig ist und schließlich Rückmeldung der Arbeitsunfähigkeit. Diese enthält den Namen des Arbeitnehmers, Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit, das Ausstellungsdatum, sowie der Hinweis, ob es sich um eine Erst- oder Folgebescheinigung handelt. - Wer ist betroffen?
Betroffen von den Änderungen sind an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Einrichtungen und Ärzte/ Ärztinnen, sowie Krankenkassen und Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Der persönliche Anwendungsbereich der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gilt jedoch nicht uneingeschränkt für alle betroffenen Personenkreise gleich. Bezogen auf Arbeitnehmer ist Voraussetzung der eAU zunächst die Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenversicherung. Für privat versicherte Arbeitnehmer gilt weiterhin die Nachweispflicht inklusive Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform. Weitere Ausnahmen ergeben sich für geringfügig Beschäftigte i. S. d. § 8a SGV IV oder auch für an der vertragsärztlichen Versorgung nicht teilnehmenden Ärzte § 295 Abs. 1 S. 1 SGB V. Weiterhin anzumerken ist, dass sich die Regelung des neuen § 5 EFZG ausschließlich auf das Inland bezieht. - Welche Besonderheiten gelten?
Arbeitgeber sollten bereits vor dem Inkrafttreten des neuen EFZG bestehende Verträge auf die Vereinbarkeit mit den neuen Regelungen überprüfen. Aufgrund der nach § 5 Abs. 1a EFZG n. F. für gesetzlich Versicherte geltenden Feststellungspflicht und der für privat versicherten Arbeitnehmer fortgeltende Nachweispflicht, könnte u.a. eine Anpassung der entsprechenden Formulierungen in Arbeits-/Tarif-/Betriebsverträgen notwendig sein, die die unterschiedliche Behandlung berücksichtigt. - Fazit
Trotz des hohen Digitalisierungsanspruchs und der damit einhergehenden Einführung der eAU wird den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer auch zukünftig die Obliegenheit treffen sich zu Beweiszwecken zusätzlich eine AU in Papierform ausstellen zu lassen. Denn sowohl für den Fall von Übertragungsstörungen, als auch zur prozessualen Beweisführung ist nach wie vor nur die Papierbescheinigung geeignet. Zukünftig soll auch ein dem Beweiswert des Papiers gleichkommendes elektronisches Äquivalent zur Verfügung gestellt werden. Wann genau mit einer solchen Änderung gerechnet werden kann ist zurzeit jedoch nicht absehbar (vgl. ARP, 2022,113).
I. DIE PFLICHT ZUR ARBEITSZEITERFASSUNG
Auch die Zeiterfassung beschäftigt weiterhin die Arbeitsrechtswelt. Der EuGH entschied bereits mit seinem Urteil vom 14. Mai 2019 (C-55/18), dass grundsätzlich alle Arbeitgeber die tägliche Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer systematisch erfassen müssen. Insofern sind die europäischen Mitgliedstaaten zur Umsetzung dieser Entscheidung gehalten, die Arbeitgeber zur Einführung eins objektiven, verlässlichen und zugänglichen Zeiterfassungssystems zu verpflichten.
In dem daran anknüpfende Verfahren entschied das BAG über das Initiativrecht eines Betriebsrates im Zusammenhang mit dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Zeiterfassung. Während die Vorinstanz noch ein Initiativrecht des Betriebsrates annahm (LAG Hamm Beschluss v. 27.07.2021), geht das BAG (Beschluss v. 13.09.2022 – 1 ABR 22/21) vom Gegenteil aus. Es liege kein Mitbestimmungsrecht i. S. d. § 87 Abs. 1 BetrVG vor, da nach unionsrechtskonformer Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG die Pflicht des Arbeitgebers bestehe, die Arbeitszeit der Arbeitnehmer systematisch zu erfassen (siehe oben Urteil des EuGH). Für ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 BetrVG müsse es jedoch gerade an einer solchen gesetzlichen oder tarifvertraglichen Regelung fehlen. Auch wenn sich die Regelung nicht direkt aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ergebe, handele es sich doch um eine notwendige Umsetzung der EU-Rechtsprechung.
Das „Ob“ einer Zeiterfassung steht seit dem EuGH–Urteil und dem Beschluss des BAG nicht mehr zur Debatte und macht die Dokumentation von Arbeitszeiten für sämtliche Betriebe zum relevanten Thema. Die Einführung eines solchen Systems bedeutet derweil keine grundsätzliche Veränderung oder gar einen Ausschluss bestehender Arbeitskonzepte. War zum Beispiel eine Vertrauensarbeitszeit vereinbart, d. h. konnten die Arbeitnehmer den Beginn und das Ende ihrer Arbeitszeit selbst bestimmen, galten trotzdem die gesetzlichen Arbeitszeitgrenzen. Gleiches gilt für z. B. Home-Office oder auch strikt vorgegebene Zeitspannen. Zu den bereits zu beachtenden Bestimmungen des Arbeitszeit- bzw. Arbeitsschutzgesetzes, kommt allerdings fortan eine Dokumentationspflicht der tatsächlichen Arbeitszeiten hinzu. Eine solche Zeiterfassung mag diesen auf Vertrauen basierenden Modellen zuwider laufen und ein „Mehr“ an Kontrolle bedeuten. Arbeitgeber können aber im Ergebnis an den bisher gelebten Arbeitskonzepten festhalten, sofern sie diese mit einer Dokumentationspflicht der Arbeitszeit verknüpfen.
Hinsichtlich der Ausführung d. h. des „Wie“ kommt den Arbeitgebern ein Gestaltungsspielraum zu. Denn bis auf die Vorgaben des EuGH ein „objektiv, verlässliches und für den Arbeitnehmer einsehbares System“ zu schaffen, gibt es bislang keine weiteren Konkretisierungen. Die Zeiterfassung kann also entweder elektronisch oder analog vom Arbeitgeber oder Arbeitnehmer selbst erfolgen.
Zwar steht dem Betriebsrat nach dem Beschluss des BAG kein Initiativrecht zur Einführung der Zeiterfassung mehr zu, allerdings können etwaige Mitbestimmungsrechte greifen. Zu beachten ist dabei vor allem § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, sofern die Zeiterfassung mithilfe einer technischen Einrichtung erfolgt.
Auch wenn bislang bei Verstößen keine unmittelbaren Folgen (Bußgelder) drohten, sollten Arbeitgeber zeitnah ein System zur Arbeitszeiterfassung einführen, um der Rechtsprechung des EuGH und BAG zu entsprechen. Stimmen in der Literatur vermuten bereits eine zukünftige Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit dem Ableisten von Überstunden, sofern der Arbeitgeber kein geeignetes System zur Arbeitszeiterfassung einführt. Da es über die Entscheidungen des EuGH und BAG hinaus derzeit weder weitere Urteile noch gesetzliche Regelungen gibt, sind die tatsächlichen Konsequenzen eines Verstoßes gegen die Erfassungs-und Dokumentationspflichten des Arbeitsgebers derzeit noch nicht greifbar.
gez.
Stefan Hagen Natalie Pohl
Rechtsanwalt wissenschaftliche Mitarbeiterin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Download: Die eAU
Redaktion:
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