Europarechtswidrigkeit der sog. Kundenanlagen-Privilegierung

Rechtsanwältin Wibke Reimann, Rechtsanwalt Pacal Werner • 3. Juni 2025

Kurzinfo zum Energierecht Nr. 90 / 07. Januar 2025

I. Entscheidung des EuGH vom 28. November 2024 – RS C-293/23

Der EuGH hat am 28. November 2024 auf einen Vorlagebeschluss des BGH nunmehr eindeutig festgestellt, dass die deutsche Sonderregelung zur Kundenanlage gem. § 3 Nr. 24a EnWG eine unzulässige nationale Ausnahme vom Verteilernetz regelt.


II. Hintergrund 

Der Entscheidung des BGH lag ein Fall zugrunde, in dem ENGIE bei den Stadtwerken Zwickau als zuständigem Netzbetreiber einen Netzanschluss für den Anschluss einer Kundenanlage gem. § 3 Nr. 24a EnWG beantragt hatte. Als Kundenanlage wollte ENGIE die Stromversorgung von vier Wohnblöcken mit 96 Wohneinheiten auf einer Flächen von 9.000 m² sowie auf einem weiteren Gebiet sechs Wohnblöcke mit 160 Wohneinheiten auf einer Fläche von 25.500 m² anschließen lassen. Das Gebiet sollte mit zwei im Eigentum der ENGIE stehenden KWK-Anlagen die Mieter der Wohnungsbaugenossenschaft mit Strom und Wärme versorgt werden. Die Stadtwerke als Netzbetreiber hatten den Anschluss als Kundenanlage abgelehnt.

Weder die Regulierungsbehörde noch die Vorinstanzen hatten ENGIE Recht gegeben. Im Rahmen der Rechtsbeschwerde zum BGH hat dieser die Rechtsfrage dem EuGH vorgelegt, da er unsicher war, ob § 3 Nr. 24a EnWG selbst mit dem europäischen Recht vereinbar sei oder auch eine Kundenanlage als Verteilernetz anzusehen sei.


III. Entscheidungsbegründung des EuGH

Der EuGH hat nun entschieden, dass der deutsche Gesetzgeber nicht berechtigt gewesen sei, Anlagen vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2019/944 auszunehmen, die unstreitig zur Weiterleitung von Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung dienen, die zum Verkauf an Kunden bestimmt ist.

Der EuGH hat in seiner Entscheidung dabei geprüft, ob das europäische Recht dem nationalen Gesetzgeber erlaubt, bestimmte Arten von Netzen von dem Begriff des „Verteilernetzes“ auszunehmen. Insoweit sieht der EuGH Gestaltungsmöglichkeiten nur bei den Kriterien der Spannungsebene und der Kategorie des Kunden, lässt es aber nicht zu, zusätzliche Kriterien einzuführen.


IV. Auswirkungen

Kundenanlagen waren bisher von den umfassenden regulatorischen Vorgaben für Verteilernetze ausgenommen. Durch eine solche Gestaltung konnte eine Befreiung von Netzentgelten und netzseitigen Abgaben (u.a. KWK- und Offshore-Umlage) erreicht werden, wenn innerhalb der Kundenanlage Strom erzeugt und verteilt wurde. Auch steuerlich wird in eine Belieferung innerhalb einer Kundenanlage nicht als Lieferung im stromsteuerlichen Sinne angesehen (§ 1a Abs. 1a, Abs. 4, Abs. 6, Abs. 9 StromStV). Darüber hinaus setzt z.B. die Umsetzung eines Mieterstrommodells nach § 21 Abs. 3 EEG, sogar voraus, dass das öffentliche Netz nicht genutzt wird.

Die Entscheidung hat damit erhebliche Auswirkungen für laufende und bereits realisierte Projekte, bei denen die Versorgung von Letztverbrauchern über den Betrieb einer Kundenanlage gem. § 3 Nr. 24a EnWG umgesetzt wurden (z.B. Projekte zu Wohnquartieren sowie Industrie- und Betriebsgelände).

Nun stellt sich die Frage, ob diese Projekt zukünftig als Verteilernetze abgewickelt werden müssen. Dies würde neben zusätzlichen wirtschaftlichen Lasten (Netznutzungsentgelte und Umlagen) auch dazu führen, dass die Betreiber der Infrastruktur als Netzbetreiber die erforderlichen Genehmigungen beantragen müssten und den regulatorischen Vorgaben unterfielen.

Es besteht deshalb erheblicher Handlungsbedarf beim Gesetzgeber. Dieser muss nun prüfen, ob die bisher privilegierten Tatbestände auch zukünftig, dann aber auf der Grundlage zulässiger Ausnahmeregelungen, erneut von bestimmten Vorgaben für Verteilernetze ausgenommen werden könnten.

Als Ausnahmen lässt der EuGH u.a. sog. „Bürgerenergiegemeinschaften“ zu. Diese „Bürgerenergiegemeinschaften erfordern jedoch u.a., dass es sich um natürliche Personen, Gebietskörperschaften und um „Kleinunternehmen“ mit weniger als 50 beschäftigten Personen und einem Jahresumsatz bzw. -bilanzsumme von nicht mehr als 10 Mio. EUR handelt. Für den hier zu entscheidenden Fall, lagen diese Voraussetzungen schon nicht vor.


Eine Bürgerenergiegemeinschaft ist gem. Art. 2 Nr. 11 Richtlinie (EU) 2019/944 wie folgt definiert:

Bürgerenergiegemeinschaft“ eine Rechtsperson,

a) der auf freiwilliger und offener Mitgliedschaft beruht und von Mitgliedern oder Anteilseignern, bei denen es sich um natürliche Personen, Gebietskörperschaften, einschließlich Gemeinden, oder Kleinunternehmen handelt, tatsächlich kontrolliert wird;

b) deren Hauptzweck nicht in der Erwirtschaftung finanzieller Gewinne besteht, sondern darin, ihren Mitgliedern oder Anteilseignern oder den lokalen Gebieten, in denen sie tätig ist, Umwelt-, Wirtschafts- oder soziale Gemeinschaftsvorteile zu bieten; und

c) die in den Bereichen Erzeugung, einschließlich aus erneuerbaren Quellen, Verteilung, Versorgung, Verbrauch, Aggregierung, Energiespeicherung, Energieeffizienzdienstleistungen oder Ladedienstleistungen für Elektrofahrzeuge tätig sein oder andere Energiedienstleistungen für seine Mitglieder oder Anteilseigner erbringen kann

Eine weitere mögliche Ausnahme könnte über die Regelung sog. geschlossener Verteilernetze erfolgen. Die Einordnung als geschlossenes Verteilernetz würde es allerdings lediglich ermöglichen, die Betreiber von bestimmten regulatorischen Pflichten freizustellen. Eine weitere Ausnahme könnte für kleine Verbundnetze und kleine, isolierte Netze geschaffen werden. Die Inanspruchnahme dieser Ausnahme erfordert aber einen vorherigen Antrag der Bundesregierung bei der Kommission. Letztere Ausnahme wird keinen adäquaten Ersatz für die bisherigen Gestaltungen ermöglichen können.

Ob und wie bestehende Gestaltungen „gerettet“ werden können, ist noch gänzlich unklar. Insoweit erhofft sich die Branche eine schnelle Aussage der Bundesnetzagentur. Mit einer Reaktion des Gesetzgebers ist angesichts der bevorstehenden Neuwahlen kurzfristig nicht zu rechnen.


gez.                               

Wibke Reimann               

Rechtsanwältin     

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Redaktion:

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